Mutter als sexistisches Stereotyp?

Eine Resolution im Europarat hat Staub aufgewirbelt, aber in Wirklichkeit ging es bloß um die Einengung des Frauenbildes in den Medien. Ein herrliches Thema für weise Tugendbolde.

Leser haben mich gebeten, über den ominösen Europarats-Antrag 12267 zu schreiben. Dieser Antrag hat einigen Staub aufgewirbelt, weil er im Rufe stand, den Begriff „Mutter“ als „sexistisch“ zu brandmarken. Am Freitag wurde er von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates angenommen.

Im Dokument 12267 geht es um den „Kampf gegen sexistische Stereotype in den Medien“. Tatsächlich fand sich darin der Satz: „Das Fortdauern sexistischer Stereotype in den Medien – die Frauen und Männer auf die traditionell von der Gesellschaft zugeteilten Rollen beschränken und Frauen oft als passive oder mindere Wesen,Mütter und Sexobjekte abbilden – ist eine Barriere gegen Gender-Gleichheit.“

Ich darf Sie aber beruhigen: Die Mutter ist vorerst gerettet! Der tolpatschig formulierten Antrag ist umgeschrieben worden. Nunmehr sind die sexistischen Stereotype so charakterisiert: „...das heißt, die Frauen zu Hause, die Männer in der beruflichen oder politischen Welt – Frauen als Opfer oder Sexobjekte, Männer als kompetente und mächtige Führer oder sexuell angetriebene Personen“.

Außerdem war, entgegen mancher Befürchtungen, nie wirklich die Rede davon, dass der Europarat den Begriff „Mutter“ verbieten will. Es weiß zwar niemand, wozu der Europarat überhaupt da ist, aber er kann jedenfalls nichts verbieten. Und in der am Freitag angenommenen Resolution ging es auch nicht darum, den Begriff „Mutter“ abzuschaffen, sondern nur zu schauen, dass in den Medien mehr Frauen vorkommen – und nicht nur in traditionellen Frauenrollen. Das ist ein legitimes Anliegen.

Im Bericht zu dem Antrag finden sich ein paar interessante Angaben. So sind zum Beispiel in Schweden 46 Prozent der Parlamentsabgeordneten Frauen – aber nur 28 Prozent der im Fernsehen gezeigten Parlamentarier. In einer weltweiten Auswertung von Nachrichtensendungen waren 83 Prozent der befragten Experten Männer. Nur wenn „gewöhnliche Bürger“ gezeigt werden sollen, sind Frauen angemessen vertreten.

Das ist eine Situation, die auch der Tageszeitungsjournalist kennt. Es gibt leider viel weniger Frauen als Männer, die bereit sind, in der Öffentlichkeit den Kasperl zu machen. Männer haben damit offenbar seltener ein Problem. Liebend gern hätten wir mehr Frauen im Blatt, aber sie melden sich seltener zu Wort. Eloquente Expertinnen sind Gold wert in unserem Geschäft, aber sie drängen sich nicht vor und sind daher nicht leicht zu finden. Solange es vorwiegend Männer sind, die in Politik, Wirtschaft und Kultur Taten setzen, Beschlüsse verkünden und Kommentare abgeben, können wir Journalisten nur entweder weiterhin die (auch uns selbst schon zu öden) männlichen Akteure zeigen und damit „sexistische Stereotype“ aufrechterhalten. Oder wir könnten so tun, als wären viel mehr Frauen an den Schnittstellen von Welt und Medien aktiv, als es der Fall ist, und würden damit die Wirklichkeit verschleiern.

Klar: Medien stehen in einer Welt, in denen Frauen weniger ernst genommen werden, vor der Herausforderung, diese Welt korrekt wiederzugeben, ohne dabei dieses Missverhältnis noch zu vertiefen. Und das muss uns auch noch besser gelingen als es heute der Fall ist. Ich bin nur skeptisch, dass der Europarat viel dabei helfen wird, auch wenn das Ministerkomitee nun aufgefordert ist, „ein Handbuch für die Medien über Strategien zur Bekämpfung von Gender-Stereotypen“ zu entwerfen.


Faszinierende Parallelwelt.
Jedenfalls ist der Europarat eine faszinierende Parallelwelt. 2200 Mitarbeiter verbraten jährlich ein Budget von mehr als 200 Millionen Euro, um den Regierenden unverbindliche Vorschläge zu unterbreiten. Bei der Debatte am Freitag gab es zum Vorschlag 12267 immerhin eine Rednerliste, die auf sieben Personen beschränkt war, von denen jede etwa fünf Minuten Zeit hatte. Sie hätten das Ganze aber auch abkürzen und ihre politisch korrekten Zustimmungsworte im Chor sprechen können. Nur eine Wortmeldung war kritisch: Der Vertreter Moldawiens durfte in 30 Sekunden Redezeit ausführen, dass es doch irgendwie unlogisch sei, am Vortag die Regierung Aserbaidschans aufzufordern, Diffamierungen nicht länger zu kriminalisieren, aber heute in der Resolution 12267 die europäischen Regierungen aufzufordern, „sexistische Bemerkungen oder Beleidigungen“ unter Strafe zu stellen. Klarerweise konnte er sich nicht durchsetzen.

Es zahlt sich aus, die Protokolle zu lesen und diese Welt weiser Tugendbolde kennenzulernen, in der es von Ideen für „Awareness Raising Campaigns“, Kampfgesetzen, Regulierungsbehörden, Verhaltenskodizes, Quotenregelungen, Beobachterinstitutionen, Kinderunterweisung, Strafbestimmungen, noch mehr Beobachterinstitutionen, Erwachsenenerziehung, Staatsanwaltsermächtigungen und noch mehr Regulierungsgremien nur so wimmelt. All das kommt in der Resolution 12267 vor – allein zur künftigen Vermeidung von Klischees in den Medien. Da kann einem schon schwummrig werden.

michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)

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