Die Macht der türkischen Medien

TV, Zeitungen. Der überwiegende Großteil der türkischen Migranten nutzt türkische Medien. Inhaltlich wandelt sich der Fokus von Nachrichten aus der alten Heimat zunehmend auf das Leben in Österreich.

Wien. Als vor sechs Jahren ein kurdischer Österreicher die Idee hatte, „kurdisches“ Bier („Roj“) in Wien zu brauen und anschließend auch in der Türkei zu verkaufen, starteten einige türkische Fernsehsender eine Medienkampagne. In den Nachrichten des Senders „Star TV“ etwa begann ein Beitrag über die geplante Expansion mit dem Spruch „Das hat noch gefehlt“.

Untermalt mit dramatischer Musik wurden anschließend feuchtfröhlich feiernde „Österreicher“ (eigentlich waren es Münchner auf dem Oktoberfest) gezeigt, die Bier konsumieren. Die Message dieser Berichterstattung: Dieses Bier provoziert. Das Ergebnis: Vor dem Büro des Wiener Unternehmers in der Wiener Innenstadt lag wenige Tage später ein noch blutender Schafskopf.

Die Erfahrungen mit „Roj“-Bier – wenn sie auch ein extremes Beispiel ist – macht eines deutlich: Türkische Medien wirken bis nach Österreich. Und gerade in der türkischen Community ist die Nutzung von Medien aus der alten Heimat besonders stark verbreitet. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK sehen 76 Prozent der türkischen Migranten in Österreich „fast täglich“, neun Prozent „fast nie“ türkischsprachiges Fernsehen. Seit den 1990er-Jahren gehören Satellitenschüsseln in türkischen Familien quasi zur Standardausrüstung. „Die starke Orientierung an die Heimatmedien hängt damit zusammen, dass es in Österreich über viele Jahre hinweg zu wenige mediale Angebote gab“, sagt Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell von der Uni Wien.

Sprachdefizite durch TV-Konsum

Dass sich gerade die türkische Community in hohem Maße an die Heimatmedien wendet, liegt laut Hausjell auch daran, dass Türken ab den 1990er-Jahren ein „gewisses gesellschaftliches Feindbild geworden sind“. Die türkischen Medien haben das Potenzial in Europa sehr wohl erkannt und Niederlassungen gegründet, um auch türkisches Leben in Deutschland und Österreich in die Berichterstattung miteinzubeziehen. Große Teile der Community haben sich so medial abgeschottet. Längst erzählen Lehrer hinter vorgehaltener Hand, dass die Hinwendung zu türkischen Medien das Erlernen der deutschen Sprache immer mehr behindert habe.

Die Fokussierung der Medien auf die Türkei und die türkische Community in Europa ist allerdings in Auflösung begriffen. Die „neue Heimat“ wird öfter in den Mittelpunkt gerückt, sowohl bei den ursprünglich türkischen Medien als auch bei österreichischen Neugründungen, die etwa auch auf Zweisprachigkeit setzen. Derer gibt es nicht wenige: „Yeni Vatan“ („Neue Heimat“) und „Yeni Hareket“ („Neue Bewegung“), um nur zwei Beispiele zu nennen. Die auflagenstärkste türkische Zeitung „Zaman“ („Zeit“, in Österreich rund 6000 Abonnenten) produziert in der Wiener Redaktion auch eine deutschsprachige Beilage. „Zaman Österreich“ ist Franchisenehmer des türkischen Hauptblattes; Schwerpunkte der Wiener Redaktion seien die österreichische Innen- und Außenpolitik sowie die Integrationspolitik, sagt Chefredakteur Seyit Arslan.

Dass „Zaman“ der islamischen Fetullah-Gülen-Bewegung nahesteht, verneint Arslan, sagt aber, dass Gülen ein „wichtiger Denker, Spiritueller und Intellektueller“ ist.

Hoppala eines Schauspielers als Nachricht

Im Unterschied zu deutschen und österreichischen Medien legen türkische TV-Nachrichtenformate bei der Berichterstattung vor allem großen Wert auf das unterhaltende Element. Gezeigt werden daher Neuigkeiten, „die wir hier nicht als Nachricht begreifen“, meint Hausjell, „wie das Hoppala eines Schauspielers“. Bisweilen sind Berichte in türkischen Medien durchwegs subjektiv gefärbt. Eine Tradition, die damit auch die Türken in Österreich erreicht und hier zuweilen auch Konsequenzen hat, wie das Beispiel rund um das „Roj“-Bier zeigt.

Es wäre zu kurz gegriffen, die gesamte türkische Medienlandschaft auf Unterhaltung und subjektive Berichterstattung zu reduzieren. Besonders die Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft ist politisch und ideologisch bunt. Dennoch gehören nationale Inhalte und Symbole zum medialen Alltag. Auf der Titelseite der auflagenstarken Tageszeitung „Hürriyet“ wird etwa täglich das Konterfei von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk abgedruckt, dazu die türkische Flagge und der Spruch „Die Türkei gehört den Türken“. Mit diesem Logo (der Spruch wird seit 1949, Atatürks Konterfei seit 1987 abgedruckt) wird dem Leser täglich vermittelt, dass seine Heimat ihm gehört. Auch, wenn er längst nicht mehr in der Türkei lebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2011)

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