Safranski: "Den politischen Islam will ich nicht bei uns haben"

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4281 / Ruediger SafranskiRobert Brembeck / Visum / picturedesk.com
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Bildung und Erziehung hält der deutsche Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski für eine gelungene Integration von Flüchtlingen "überhaupt für das Entscheidende".

Österreichs Intellektuelle loben die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, für ihre Flüchtlingspolitik. Mit der österreichischen Regierung gehen sie in dieser Frage hingegen hart ins Gericht. Wie lautet Ihre Meinung?

Rüdiger Safranski: Wenn ich auch die österreichischen Kollegen sehr hoch schätze, so tue ich doch genau das Umgekehrte, ich kritisiere Merkels Politik und lobe die österreichische Regierung. Nur weil die Balkanroute geschlossen wurde, rührt sich wieder etwas bei den anderen Europäern. Und wenn es in nächster Zeit zu europäischen Kontingentvereinbarungen kommen sollte, so nur deshalb, weil Österreich und die anderen zuvor an der Grenze Tatsachen geschaffen haben. Bei einem ungebremsten Zustrom von Flüchtlingen und Wirtschaftsemigranten wäre die Situation in Deutschland kollabiert, oder man hätte selbst die Grenzen schließen müssen. Das haben Österreich und die Balkanländer der deutschen Regierung erspart, und sie müssen es sich nun sogar gefallen lassen, von den Gesinnungsethikern, auch von Merkel, kritisiert oder gar beschimpft zu werden. Nein, der große Max Weber hat schon recht: Gesinnungsethik reicht nicht aus. Verantwortung sieht anders aus. Österreich handelt verantwortungsbewusst.

Was verstehen Sie unter Gesinnungsehtik?

Bei der Gesinnungsethik ist man nur mit sich im Reinen, nicht aber mit der Wirklichkeit. Merkel destabilisierte die ganze Gesellschaft mit ihrer Weigerung, Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen festzulegen. Jetzt profitiert sie von der Schließung der Balkanroute, denn bei einem weiteren ungebremsten Zustrom wären die Erfolge der AfD noch größer geworden. Alles in allem habe ich nicht den Eindruck, dass unsere Regierung die gigantischen Probleme wirklich im Visier hat, die noch auf uns zukommen.

Welche Probleme fürchten Sie?

Ich fürchte – nur um ein paar Beispiele zu nennen – , dass wir uns hierher nach Deutschland den arabisch-nordafrikanischen Antisemitismus importieren, und wie schlimm der ist, kann man in Frankreich beobachten, wo jüdische Franzosen bereits das Land verlassen. Es werden Parallelgesellschaften größten Ausmaßes entstehen, arabisch-afrikanische Ghettos. Von den zahllosen jungen Männern, die jetzt ins Land geströmt sind, wird wohl nur ein kleiner Teil Arbeit finden. Und die anderen müssen dann beschäftigungslos herumhocken. Das ergibt einen dramatischen Überhang an auch sonst frustrierten Männern. Da braut sich einiges zusammen, eine tickende Zeitbombe. Das werden dann auch die Rückzugsgebiete eines expandierenden Terrorismus. Und bei alledem ist Deutschland kein Weltmeister der Integration. Integration wird außerdem immer schwieriger, denn je größer die Zahl der Aufgenommenen ist, desto weniger Anreiz gibt es, sich zu integrieren. Es lassen sich dann abgeschlossene Gesellschaften bilden. Das sieht man auch bei den Türken hierzulande, von denen ein erheblicher Teil, bis in die dritte Generation, schlecht integriert ist.

Woran liegt das?

Probleme gibt es fast nur mit Menschen aus dem islamischen Kulturkreis. Das ist leider so, und da hilft auch keine politisch korrekte Sprachregelung. Das hängt mit der Religion zusammen, die den Alltag der Menschen stark prägt. Religiöse Menschen sind in säkularen Gesellschaften eigentlich eine Bereicherung, aber leider nicht so bei einem Islam, der durch keine Aufklärung hindurchgegangen ist, der undemokratisch ist, keine Religionsfreiheit kennt, Frauenunterdrückung legitimiert und das Sexualleben der jungen Männer auf üble Weise deformiert. Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud hat das in einem Artikel über die Silvesternacht in Köln eindringlich geschildert und wird auch hierzulande dafür von den Gutmeinenden als Rassist beschimpft.

Weshalb halten Sie die deutsche Integrationskraft für besonders gering?

Weil die Deutschen nicht mit sich selbst im Reinen sind. Sie wissen eigentlich gar nicht so richtig, wo hinein sie die Leute integrieren sollen.

Das heißt, die Deutschen haben ein Identitätsproblem?

Wenn Sie noch vor zwei Jahren in Deutschland von Leitkultur gesprochen haben, galt das als intolerant und rechts. Heute merken fast alle, dass es ohne Leitkultur eben doch nicht geht. Dazu gehören zuallererst unsere Verfassung, die Gesetze und vor allem die Sprache. Wenn die nicht beherrscht wird, funktioniert gar nichts. Man muss nicht Goethe kennen, aber die Sitten hierzulande, die sollte man nicht nur kennen, sondern sich ihnen anpassen. Das gilt besonders beim Verhalten gegenüber Frauen. Ich staune manchmal schon über eine Art der Xenophilie, die sogar bereit ist, Errungenschaften der Emanzipation preiszugeben.

Was können Bildung und Erziehung zu einer gelungenen Integration beitragen?

Das ist überhaupt das Entscheidende. Eine Offensive der Bildung und Erziehung legt die Grundlage dafür, dass Menschen mit unserer Lebensform zurechtkommen. Aber hier stößt man an die zahlenmäßige Grenze. Denn es geht um die Kapazitäten in unseren Bildungseinrichtungen. Und genau danach muss dann die Zahl derer bestimmt werden, die man aufnehmen kann. Wirtschaftsflüchtlinge dürften zur Zeit eigentlich gar nicht mehr aufgenommen werden, denn sie nehmen den vielen Kriegsflüchtlingen den Platz weg. Deshalb sind ja kontrollierte Grenzen so wichtig, wo man noch vor Betreten des Landes die wirklich Schutzbedürftigen herausfinden kann.

Was sagen Sie jenen, die Ihnen entgegenhalten, es sei gerade jetzt unmoralisch, auf Grenzen zu pochen.

Wer Grenzen für überflüssig hält, lebt nicht in der Welt, wie sie ist. Als es von Regierungsseite hieß, man könne die Grenzen nicht mehr kontrollieren, war es mit der Willkommenskultur vorbei. Denn wenn man nicht mehr Herr im eigenen Haus ist, kann man auch nicht mehr Gastgeber sein. Die Weigerung, eine Obergrenze zu nennen, wirkte in dieselbe Richtung: Anstatt aufzunehmen, wurde man überrannt. Das hörte erst mit der Sperrung der Balkanroute auf. Das große und moralisch großmäulige Deutschland profitiert vom kleinen Österreich. Und was die Moral betrifft: Politik hat keine moralische Mission, aber sie soll moralischen Grundsätzen folgen. Die beiden Irak-Kriege sind als moralische Mission begründet worden. Diese missionarischen Kriege haben die Katastrophe der Region mit verursacht. Nein, man sollte sich an moralische Grundsätze halten, das reicht. Zu ihnen gehört, Schutzbefohlene, nicht aber jeden Wirtschaftsflüchtling aufzunehmen. Unmoralisch ist es auch, die zu begünstigen, die sich teure Schlepper leisten können.

Sie haben in der Vergangenheit mehrfach gesagt, Sie fürchten den politischen Islam.

Ja, das tue ich, und ich will ihn vor allem nicht bei uns haben. Der Islam hat viele Dimensionen, auch außerordentliche Schönheiten, die uns Navid Kermani erzählt. Doch dort, wo der Islam politisch an der Macht ist, zeigt er nicht immer, aber allzu häufig sein scheußliches Gesicht als Feind von Demokratie und Menschenrechten. Nur dann brauchen wir ihn nicht zu fürchten, wenn wir ihm Grenzen setzen, und zwar dort, wo er im Windschatten großer Einwanderungsbewegungen in unserem Land Einfluss zu gewinnen versucht. Grenzen im handfesten und im übertragenen Sinne. „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, darüber hat der große österreichische Philosoph Karl Popper einst geschrieben. Zu den Feinden der offenen Gesellschaft gehört heute der real existierende – nicht der erträumte – politische Islam. Wer das nicht beizeiten wahrnehmen will, den wird das Leben bestrafen.

Die meisten Flüchtlinge wollen nach Österreich, Deutschland oder Schweden. Welche Verantwortung hat der Rest Europas?

Die Flüchtlingsströme sind eine Herausforderung für ganz Europa. Doch durch das deutsche Vorpreschen wurde den anderen Ländern Gelegenheit gegeben, sich wegzuducken. So wurde der Druck, der eigentlich auf ganz Europa lastet, zu einem Druck, den Deutschland auf Europa ausübte. In diese wenig komfortable Position hat uns Merkel gebracht. Jetzt sollen uns die Türkei und ein bekannter Menschenrechtsfreund wie Erdoğan retten! Mal sehen.

Was glauben Sie, was die Zukunft bringt?

Wir sind erst am Anfang einer gigantischen Völkerwanderung. Afrika ist geplagt mit korrupten Staaten, kriminellen Eliten und religiösen Fanatikern und erlebt eine wahre Bevölkerungsexplosion. Es gibt zahllose junge Männer, die nicht in Lohn und Brot sind und die weg wollen. Nach neuesten Gallup-Erhebungen sollen es etwa 133 Millionen sein, die lieber heute als morgen sich in Richtung Europa auf den Weg machen würden. Wir sind das gelobte Land – für die anderen. Wie sollen wir damit fertig werden? Ich weiß es nicht. Aber ich möchte auch nicht, dass man dies alles mit humanitaristischen Phrasen zudeckt und verdrängt.

Zur Person

1945 wurde Rüdiger Safranski in Rottweil in Baden-Württemberg geboren. Er ist Literaturwissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller.

1970 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der maoistisch orientierten Kommunistischen Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO).

Bekannt wurde er mit seinen philosophischen Büchern und Biografien u. a. über Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger, Schiller und zuletzt Goethe.

Von 2002 bis 2012 moderierte er gemeinsam mit Peter Sloterdijk „Das Philosophische Quartett“ im ZDF.

2014 erhielt er den Thomas-Mann-Preis.

2015 erschien sein jüngstes Buch: „Zeit, was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2016)

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