Digitales Radio derzeit nur als „Testballon“

Der ORF glaubt nicht an den aktuellen Sendestandard DAB. Für den Umstieg gerüstet ist er dennoch.

Ö1 ist digital. Zumindest was die Aufnahme, Bearbeitung und Archivierung der Sendungen angeht. Nur das Sendesignal, das ist (bei terrestrischem Empfang) nach wie vor analog (Info siehe Kasten). Und wird es wohl auch noch längere Zeit blieben.

„Ich glaube nicht an die derzeitige Technik und die Industrie auch nicht“, begründet Haimo Godler, auf Digitalisierung spezialisierter Mitarbeiter des Ö1-Programmchefs, die Treue zum UKW-Rundfunk.

Dabei sind die Versprechungen des Digitalradios (derzeitiger Standard: Digital Audio Broadcasting, kurz DAB) groß. Dieser digitale Übertragungsstandard wurde speziell für den Radioempfang über Antenne entwickelt und ist besonders gut für mobilen Empfang auch bei hohen Geschwindigkeiten (wichtig beim Autoradio) geeignet. Weitere Pros: DAB bietet flächendeckende Versorgung mit nur einer Frequenz, eine bessere Audioqualität als UKW, ist unempfindlicher gegen Störungen und kann Zusatzinformationen wie Name des Titels und Interpreten mitliefern.

Die Frequenzplanung für ein flächendeckendes DAB-Netz ist in Österreich längst abgeschlossen. Allein, genutzt wird es nicht. Derzeit sendet nur der ORF im Großraum Wien und Innsbruck testweise mit dem digitalen Signal – quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Denn dementsprechende Radiogeräte werden noch kaum angeboten. Die wenigen, die es gibt, sind vergleichsweise teuer. Im Gegensatz zum Fernsehgerät kann man ein Antennenradio auch nicht einfach mit einem Zusatzgerät aufrüsten.

„Kein Interesse der Hörer“

Laut Godler liegt das minimale Angebot am mangelnden Interesse: „Die Kunden wissen nicht, warum sie viel Geld für neue Empfangsgeräte ausgeben sollen, wo doch UKW hervorragend funktioniert. Dem digitalen Radio fehlt derzeit die ,Killerapplikation‘.“

Erst mit der Weiterentwicklung DAB Plus werde digitales Radio in sinnvoller Weise möglich, etwa, indem die Visualisierung des Programms mitgeliefert wird. Und erst dann wird es tatsächlich in der versprochenen Audio-CD-Qualität übertragen. DAB Plus braucht dafür nämlich nicht so eine hohe Datenübertragungsrate wie DAB. Und die ist vielen Anbietern zu teuer.

Auch wenn Godler nicht an DAB glaubt, für den Umstieg gerüstet ist er: „Der ORF beobachtet die Entwicklung genau. Wir haben auch entsprechende Vorkehrungen getroffen, damit wir gegebenenfalls schnell auf digitales Sendesignal umsteigen könnten.“

Im Rest von Europa ist man schon weiter: Trotz Kinderkrankheiten wurde DAB zum Standard erklärt, auf Drängen der EU soll er in den kommenden Jahren die UKW-Übertragung ersetzen. Hintergrund: So werden mehr Sender und mehr Konkurrenz möglich.

In Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Teilen der Schweiz und in Südtirol können DAB-Programme schon jetzt fast flächendeckend empfangen werden – mit höchst unterschiedlichem Erfolg.

In Deutschland spricht man von einem Desaster: Trotz Investitionen von 400 Mio. Euro stehen dort mickrige 350.000 DAB-Empfänger 300Mio.(!) analogen Radios gegenüber. Das andere Extrem trifft man in Großbritannien: Dort ist ein Viertel der weltweit 12 Mio. verkauften DAB-Empfänger im Umlauf, es gibt fast 300 Radiosender, allein 34 gehören der BBC.

Verlockend? Nicht für den ORF. Godler: „DAB ist ein zusätzlicher Vertriebsweg und daher teuer. Außerdem gibt es in Österreich kein Publikum dafür. Noch.“ jule

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2007)

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