"Dreamgirls": Als Black Sound die Charts stürmte

Kritik Film. Bill Condons Musical "Dreamgirls": Großes Entertainment, clever besetzt - und trotzdem gescheit.

Showstopper nennt man im Englischen eine Einlage, die so furios ist, dass sie die ganze Show zum Stillstand bringt. Eine solche Szene hat Kino-Debütantin Jennifer Hudson genau zur Mitte von Bill Condons für acht Oscars nominiertem Musical Dreamgirls: Sie wird aus ihrem Gesangstrio gefeuert, obendrein von ihrem Ex-Liebhaber. Ihre Wut und Enttäuschung entladen sich im Song "And I Tell You I'm Not Going". Genau genommen entladen sie sich in ihrer Darbietung.

Hudsons üppiger Körper scheint mit jeder Note stärker zu zittern, die Augen erzählen ihre Emotionen, noch bevor sie als Liedtext bei den Lippen angekommen sind und ihre Stimme hat eine Wucht, die man nur mehr spirituell nennen kann. Es ist ein großer Moment - aber man würde Hudson trotzdem wünschen, dass sie besseres Musikmaterial zur Verfügung hätte.

Die Szene bringt viele der Vorzüge von Dreamgirls auf den Punkt, einer feinen, ausladend zwischen Klassizismus und Kitsch schwelgenden Broadway-Adaption, deren größter Nachteil ironischerweise ausgerechnet die gleichnamige Vorlage ist: Die lose von der Geschichte des legendären Motown-Labels und insbesondere der "Supremes", der Hit-Girlgroup um Diana Ross, inspirierte Bühnenshow war der letzte Erfolg des gefeierten Regisseurs und Choreografen Michael Bennett ("A Chorus Line") vor seinem frühen Aids-Tod.

Regisseur Condon hat sich für seine Filmversion in bester Entertainer-Manier alle Mühe gegeben, den Stoff aufzufrischen, am nicht so reschen Achtziger-Broadway-Sound der meisten Musiknummern kommt er nicht vorbei - als mildernden Umstand kann man geltend machen, dass es explizit um die Synthetisierung von Musik geht.

Das ist jedenfalls der amerikanische Traum des bisherigen Gebrauchtwagenhändlers Curtis Taylor, jr. (Jamie Foxx): 1962 entdeckt er bei einer Talentshow ein Mädchen-Trio (Hudson, Beyoncé Knowles, Anika Noni Rose). Er engagiert sie als Backup-Sängerinnen für einen regionalen Rhythm'n'Blues-Star (Eddie Murphy), holt sie aber bald in den Vordergrund. Als "The Dreams" werden sie mit weicherem Sound für die weiße Käuferschicht vermarktet und zum Flaggschiff des von Taylor jr. durch "Payola"-Bestechunggelder an Radio-DJs ermöglichten Crossover-Imperiums.

Spannender als die vordergründige Aufstiegsgeschichte der ersten Filmhälfte - zumal es immer schwerer fällt, in Zeiten wuchernder Musik(er)filme, von Ray bis Walk the Line, schon wieder die Begeisterung zu teilen, wenn der erste Hit im Radio läuft - ist Condons insistierender Blick für soziale und ideologische Ambivalenzen, wie ihn zuvor seine Biografie des Sexforschers Kinsey gewinnbringend demonstrierte: Dort entdeckten biedere Fifties-Bürger die Freuden von Swingerparties. In Dreamgirls erzählt Condon u. a. wie schwarze Selbstermächtigung und Ausverkauf Hand in Hand gehen. Um die weißen Käufer zu erreichen, wird der Black Sound in Fließbandmanier verwässert, das Image populistisch geglättet. Zuvor hatte man freilich überhaupt durch die Finger gesehen, wenn nur Weiße mit Coverversionen, die man bestenfalls sanitär nennen konnte, die Charts stürmten.

Hinter dem Erfolg des Eskapismus wird immer wieder die Kehrseite sichtbar: Neben der Zeitungsmeldung des ersten Nr. 1-Hits der "Dreams" prangen Schlagzeilen zu Nixon und Vietnam. Nach einem Streit im Studio flieht Hudsons Sängerin auf die Straße. Und steht mitten in den Rassenunruhen von Detroit.

Erst mit Hudsons großer Ausstiegs-Gesangsnummer (am Ende gleitet die Kamera an ihr vorbei ins Schwarz der Hoffnungslosigkeit, in einer expressiven Geste wie von Vincente Minnelli, dem flamboyanten Musical-Meister der Studio-Ära) findet der tatsächliche Übergang ins Genre statt, treten Gesang und Tanz von der Bühne in die Handlung: Darin, ebenso wie im kontemporär schnellen Schnittpuls, zeigt sich die Bereitschaft Condons, das Publikum wieder an ein fast entfremdetes Kino-Genre heranzuführen. (Im von ihm geschriebenen Chicago beschränkten sich zuletzt die Gesangseinlagen sicherheitshalber auf Fantasie-Szenen.)

Und es zahlt sich aus: In der zweiten Hälfte von Dreamgirls kommt erst die essenzielle Zutat zum Mix aus großem Entertainment, gescheiten Anspielungen (von den nach historischen Vorbildern gestalteten Plattencovern über Frisuren-Festspiele bis zum Bühnenauftritt einer Jackson-5-Bubblegum-Kinderpartie) und der cleveren Besetzung (Hudson, die sich sicher bald einen Oscar neben ihren Golden Globe stellen darf, ist selbst eine Newcomer-Entdeckung aus der US-TV-Talentshow "American Idol"; Beyoncé ist wie ihre Diana-Ross-Figur ein "Produkt" mit Ehrgeiz; und Murphy eben der einst legendäre Veteran, dessen Besonderheiten sich jüngere Nachfolger einverleibten). Dann kommt nämlich auch die Intimität, die Glück und Pathos des klassischen Musicals erst ermöglichen, wenn die Figuren Gefühle im Gesang (mit)teilen.

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