Kritik - Frauenfilm: "Krieg ist echt was Krasses"

Zu neuen Ufern im Locarno-Sieger "Das Fräulein".

„Mein Bruder hat sich umgebracht“, sagt Ana an der Bartheke, ein Glas Bier in der Hand. „Zum Wohl!“ Die Schweizerin Andrea Staka erzählt in ihrem Spielfilmdebüt Das Fräulein vom Weggehen und vor allem von der Angst, zurückzublicken. Die persönlichen Schicksale dreier Frauen in der Zürcher Fremde stehen im Mittelpunkt, und auch wenn alle aus Jugoslawien stammen (oder was davon übrig ist), so wird die Gewalt der jüngeren Vergangenheit konsequent nur am Rande thematisiert, in hingeworfenen Bemerkungen, die dadurch aber nicht an Bedeutung verlieren. „Krieg ist echt was Krasses“, meint etwa das Punk-Mädchen am Zürcher Bahnhof.

Das „Fräulein“ Ana, eine junge Globetrotterin aus Sarajewo, trifft auf Ruza, die in den 1970ern aus Belgrad in die Schweiz ging, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Zu Fräulein und Frau gesellt Stakas Buch noch eine ältere Dame, Mila aus Kroatien, ebenfalls schon längerer in der Schweiz. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre Heimat hinter sich gelassen haben, doch es geht nicht um Aufbruch, sondern um Unterwegssein, was Orientierungslosigkeit mit sich bringt – Unsicherheit darüber, wo man sich befindet und wo man hingehört. Der emotionale Schwebezustand wird im Lauf des Films immer klarer – nicht zuletzt den Figuren selbst. Die Emigration nimmt existenzielle Dimensionen an: Der Vergangenheit entkommen wir nicht, man muss Wunden pflegen, damit sie verheilen können.

In Locarno gewann Das Fräulein 2006 den „Goldenen Leopard“ für die „feinfühlige Reise durch die ungewöhnliche Beziehung zweier Frauen und die Entdeckung ihrer inneren Welten“. Der schmackhaft fotografierte Film zeigt den schmalen Grat zwischen mutigem Aufbruch zu neuen Ufern und ängstlichem Davonlaufen. Ana läuft ständig weg. Dennoch ist ihre starke Figur das Einzige, was in Das Fräulein einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlässt. mes

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2007)

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