Nostalgie der lärmenden Moderne

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Neu im Kino. Spektakulär: Ulrike Ottingers Rummelplatz-Essay „Prater“. Ab Freitag.

Das Kino ist ein Rummel, der Film eine projizierte Attraktion: Es ist kein Zufall, dass die ersten öffentlichen Lichtspieltheater in Vergnügungsparks aufgesperrt haben, denn die Entstehungsgeschichte der beiden Unterhaltungsindustrien ist eng miteinander verknüpft. Wenn die deutsche Regisseurin Ulrike Ottinger (Bildnis einer Trinkerin) nun in ihrem essayistischen Dokumentarfilm Prater die Wiener Spaßinstitution filmisch werden lässt, fließen diese zwei historischen Spuren wieder ineinander.

Das nostalgische Gefühl beim Betrachten der unperfekten Illusionen zwischen wackelnden Plastikmonstern und Holzpuppen reibt sich an der kinetischen Überwältigung durch die neueren, obszön blinkenden Fahrgeschäfte. Der produktive Bruch zwischen überlebender Tradition und lärmender Moderne ist Ottingers thematische Leitlinie, anhand derer sie diesen Nicht-Ort mitten in Wien erkundet.

Erstes Resümee ist der Sieg der Attraktion: Ein Schnitt zwischen dem schwarzweißen Gestern und dem Heute zeigt dasselbe Bild offener Kindermünder, wenn der Kasperl seine Scherze treibt.

Nur das Riesenrad blieb stehen

Auch andernorts rinnen Zeiten ineinander: Ein Fotoladen verspricht innerhalb von fünf Minuten „Nostalgie-Fotos“. Eine Großfamilie nimmt das Angebot an und wird in einem Porträt auf künstlich vergilbtem Material verewigt. Das Erschaffen von Nostalgie mit modernen Mitteln gehört auch deshalb so selbstverständlich zum Prater, weil der älteste Vergnügungspark der Welt 1945 von der SS in Schutt und Asche gelegt worden ist. Fotografien zeigen die Trümmer und den baldigen Wiederaufbau: Einzig das Riesenrad blieb damals stehen.

Ottinger findet für ihren Film aber auch Geschichten, die viel weiter in die Vergangenheit zurück reichen: Etwa die vom 1851 geborenen Russen Nikolai Kobelkoff, der als Mann ohne Extremitäten auf Tournee ging, die Österreicherin Anna Wilfert heiratete und mit seinem Ersparten ein Geschäft im Wiener Prater erwarb. Ausstellungen von Missbildungen und „Freaks“ waren eine beliebte Attraktion: von Tiroler Riesinnen über Zwergwüchsige hin zu Frauen ohne Unterleib reichte das Angebot.

Vom Tod des inszenierten Exotismus

Prater erzählt aber auch vom Tod des inszenierten Exotismus: Ende des 19. Jahrhunderts wurden afrikanische Dörfer mit Menschen aus dem Aschanti-Königreich (im heutigen Ghana) nach Wien umgesiedelt, ein künstlich erschaffenes Venedig inklusive Wasserkanälen versprach ähnlich Sensationelles wie die Nordpol-Expedition.

In der Gegenwart fängt Ottinger eine indische Familie ein, die ihre Freizeit im Prater verbringt. Sie zeigt asiatische Austauschstudenten und türkische Bubengruppen nebst Männern in Lederhosen wie zur Bestätigung der nivellierenden Wirkung des Vergnügungsparks auf die ansonsten gebeutelte multikulturelle Gesellschaft. Ottinger selbst hat von Hochschaubahnen herab und in Geisterhäuser hinein gefilmt, klassische Interviewanordnungen mit Beobachtungen versetzt: Schreiende Gesichter und eingefrorene Körper erzählen von der Wirkkraft der Spaßmaschinen.

Doch ein Inszenierungsgedanke (zer)stört den gesamten Film: Ottinger war und ist eine vehemente Verfechterin der Intertextualität. Sie verstopft das assoziative Potenzial ihrer Bilder mit Zitaten, die im schlimmsten Fall von Märchenstimme Peter Fitz oder Elfriede Gerstl, im besten Fall von Elfriede Jelinek eingesprochen werden.

Zwischendurch tanzt Ex-Model Veruschka im Barbarella-Kostüm – zwar durchaus vergnüglich, dennoch zerstörerisch – umher und Ottinger zitiert ihren eigenen Film Freak Orlando. Das anfangs noch frei zugängliche und hoch gehaltene Spektakel (sei es der Film, sei es der Prater) wird zerredet und franst aus: Es bleibt der Wunsch nach einem Kino der Attraktionen. Ottingers Prater ist ein Film mit Attraktionen.

ZUR PERSON

Ulrike Ottinger, geboren 1942 in Konstanz, Baden-Württemberg, Regisseurin, Autorin, Künstlerin. Ab 1972 eigenwillige Kunstfilme wie „Bildnis einer Trinkerin“ (1976), „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“ (1984), später auch Dokumentar-Epen wie den Achtstünder „Taiga“ (1992). Das Filmmuseum Berlin widmet ihr gerade eine Sonderausstellung (bis 2. Dezember), 3sat zeigt im Oktober eine Auswahl ihrer Filme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2007)

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