Wunsch Maschine

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Der Wiener Prater bekommt endlich die filmische Würdigung, die er verdient. Ein Gespräch mit Regisseurin Ulrike Ottinger über Parallelwelten, Phobienparadiese und wie sie Elfriede Jelinek in den Prater brachte.

Heeeereinspaziert, hereinspaziert!“, sagt der Geisterbahn-Gorilla. Und gleich stellt sich dieses typische Pratergefühl ein. Diese kleine Panik in der Bauchgrube, die sich hinterrücks in Vergnügen verwandelt. Wenn man sich traut. Die Dichterin Elfriede Gerstl beschreibt das treffend zweischneidig: Ein „Phobienparadies“ nennt sie den Vergnügungspark in Ulrike Ottingers Film mit dem schlichten Titel „Prater“. Auf die Regisseurin übt der Wiener Prater seit neun Jahren eine besondere Faszination aus. Damals hat sie für einen Spielfilm recherchiert und bald begeistert festgestellt: „Der Prater braucht einen eigenen Film.“

Einem gestandenen Wiener ist das sowieso klar, aber wie kommt eine deutsche Filmemacherin auf die Idee? „An diesem Ort ist Geschichte konzentriert. Der wunderbare Toboggan steht da als Monument anderer Zeiten. Gerade in den Geisterbahnen kann man in frühere Zeiten reisen. Sie leben auch in den Go-Kart-Buden, in denen die Autos aus den 50er- oder 20er-Jahren stammen“, erklärt Ottinger. Um die Geschichte des Praters so richtig einzufangen, hat sie sich mit einigen Prater-Dynastien getroffen. In einer dem Illusionsgeschäft angemessenen Parallelwelt. „Die wohnen ja im Prater. Da geht man durch so eine fast geheime Kulissentüre und steht plötzlich in einem Garten-idyll, wo die Familien in ihren Hollywoodschaukeln sitzen.

Im Hintergrund sehen sie das Riesenrad. Und es ist erstaunlich: So laut es davor ist – und es ist so laut, dass mir fast die Ohren abgefallen wären – so leise ist es da drinnen.“ So traf sie auch auf die Nachfahren der Praterlegende Nikolai Kobelkoff. Kobelkoff kam 1851 ohne Gliedmaßen auf die Welt und wurde als „Rumpfkünstler“, als Mann ohne Unterleib, eine Berühmtheit der damaligen Zeit. „Er war ein unglaublich fähiger Kopf. Das waren Stars des Showgeschäfts.“ Mit der Tochter aus einer anderen Praterdynastie zeugte er zahlreiche Kinder, der Familie gehörte unter anderem der Rutschturm Toboggan.

Hoch hinaus. Panoramen, Venedig in Wien, Grottenbahn, Watschenmann – in dem Film wird aber nicht nur die Geschichte des Praters heraufbeschworen, sondern auch die Gegenwart des Vergnügens gezeigt. Weil die Gegenwart für Ulrike Ottinger ebenso immer den Hauch der Geschichte atmet. Vor allem der Historie der Technik: „Jede neue technische Erfindung wurde sofort in Vergnügungsmaschinerien umgesetzt.

Das Riesenrad, die kleinen Dampfzüge wie die Liliputbahn. Heute betrifft das den Bereich der Simulationstechnik. Oder diese Schleuderattraktionen, wo man schaut, was ein menschlicher Körper aushält.“ So hat Ottinger ein Paar mit der Kamera beim Flug in den Himmel begleitet – mit dem Ejection Seat. Das ist eine Kugel, mit der man sich 90 Meter hoch schießen lässt. Auch eine Fahrt durch die Geisterbahn hat sie gefilmt: „Hinter der Kamera bin ich sehr mutig.“ Die Geisterbahn kennt sie seither ziemlich gut: „Mit einer großen 35-mm-Kamera, in der Fahrt, im Dunkeln, auf ein bewegliches Ziel hin – also, ich bin wahrscheinlich 14-mal mit der Geisterbahn gefahren.“ Kein Wunder, dass ihr der Riesengorilla davor so ans Herz gewachsen ist.

Jelinek als weiße Frau. Apropos Gorilla. So einer spielt auch eine wichtige Rolle in einer Episode mit Elfriede Jelinek. Die Dichterin ist eine von mehreren literarischen Stimmen in diesem Film. Ottinger zitiert etwa Elias Canetti, wie er in der Grottenbahn „mit Zittern und Beben im Herzen“ das Erdbeben von Messina erlebte. Wie hat die Filmemacherin die scheue Literaturnobelpreisträgerin in den Prater gebracht? „Eigentlich habe ich den Prater zu Elfriede Jelinek gebracht. Sie hat so einen tollen Text geschrieben und ich wollte, dass sie ihn, wie Elfriede Gerstl, selbst vorliest. Aber in den Prater wollte sie nicht kommen. Also habe ich eine Figurengruppe aus einem berühmten Prater-Panorama nachmalen lassen als Fotokulisse.“ Da steckt nun Elfriede Jelinek ihren Kopf durch und wird zur weißen Frau in den Armen des Gorillas.

Zur geplanten und heftig kritisierten Neugestaltung des Praters (so soll beim Riesenradplatz ein neobarocker Nostalgie-Eingangsbereich gebaut werden) hat die deutsche Regisseurin nach neun Jahren intensiver Arbeit natürlich auch eine Meinung: „Ich finde es keine gute Idee, wenn etwas von oben oktroyiert wird, alles generalstabsmäßig mit einer Einheitssoße überzogen wird. Es wäre besser, wenn das von den Leuten initiiert würde, die dort seit Generationen arbeiten und leben. Diese Familien kennen sich sehr gut aus. Der Prater ist immerhin einer der ältesten Vergnügungsparks, viele, etwa auf Coney Island, wurden nach seinem Vorbild gebaut.“

Tipp

Ihre Faszination für den Vergnügungspark kann Ulrike Ottinger in einem Wort zusammenfassen: „Der Prater ist eine Wunschmaschine. Durch die Ängste, Schrecken und Wünsche der verschiedenen Besucher erfährt man sehr viel über die Menschen.“ Ob die Filmemacherin selbst eher der Hochschaubahn- oder Geisterbahntyp ist, ob sie den Watschenmann oder das Autodrom vorzieht, das kann sie so genau nicht sagen. Nur eins ist klar: In den Ejection Seat „bringen sie mich nicht hinein, nein ...“ Prater ab 21.9. im Kino Das Berliner Filmmuseum widmet Ulrike Ottinger bis 2.12. eine Ausstellung.

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