Paranaoid Park: Die Einsamkeit des Skateboardfahrers

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Neu im Kino. Gus Van Sants großes Skater-Drama „Paranoid Park“ taucht tief in die Erfahrungswelt eines verwirrten jungen Mannes ein und findet dabei zu purer filmischer Wahrnehmung. Ab Donnerstag.

Eine steinerne Bank steht auf einem Hügel, im Hintergrund wellt sich das Ozeanwasser an den Sandstrand, das Gras tanzt in einer Windbö: Wie in einem Bild des US-Malers Edward Hopper umgibt den Mensch in dieser Komposition gewaltige Einsamkeit. Alex (stark im körperlichen Ausdruck: Gabe Nevins) wirkt in Paranoid Park, Gus Van Sants Verfilmung von Blake Nelsons Roman, auf den ersten Blick wie ein introvertierter Jugendlicher: Mit Bleistift beschreibt er sein Notizbuch, die halblangen braunen Haare hängen in sein bubenhaftes Gesicht.

Gus Van Sant beschreibt in seinen Filmen oft den Konflikt zwischen innen und außen: Das fragile, vielgestaltige Seelenleben der Figuren geht vor gesellschaftlichen Disziplinierungszwängen in die Knie. Auswege sind Drogen (in Drugstore Cowboy, Last Days),pragmatische Gemeinschaften (My Own Private Idaho) oder Gewaltausbrüche (Elephant). Alex' Zuwendung zur Skater-Kultur ist auch eine Suchbewegung: Die Stehsätze der mittelständischen Eltern surren an seiner Lebenswelt vorbei, der „Paranoid Park“ wird ihm Gefühlszentrum. Van Sant zeigt diesen Ort in Portland, Oregon, wie ein besetztes Haus: In den 1980ern wurde er von Straßenkindern und Punks übernommen, ist seitdem ein gegenkultureller Treffpunkt.

Die Jugend erobert ihre Freizone

Der Park ist auch Sinnbild für eine verfehlte Jugendpolitik in vielen US-Städten: Da die Stadtverwaltungen keine entsprechenden Einrichtungen schufen, haben sich die Jugendlichen ein Stück Land zurück erobert und zur Freizone erklärt. Alex erlebt im Park die schlagartige Initiation in eine erwachsene, gefährliche Welt: Der Bub aus gutem Hause trifft auf die Rauheit der Straße. Van Sants Filme bewegen sich seit seiner unmittelbar vorhergehenden „Trilogie zum Tod“ (Gerry, Elephant und Last Days) auffällig in einer naturalistischen Tradition: Seine Figuren sind vorwiegend fremdbestimmt, der Individualismus ist abgestorben. Von ihrer persönlichen, gesellschaftlichen und landschaftlichen Umwelt geprägt, stehen ihnen nur ungenügende Instrumente zur Verfügung, um selbst Entscheidungen zu treffen.

In Gerry suchen die Figuren eine natürliche Extremerfahrung und gehen in der kargen Landschaft beinahe zu Grunde. In Elephant ist das Columbine-Massaker indirekte Reaktion auf Erniedrigungen und Ausgrenzungen in der Schule. In Last Days wird ein Herrenhaus zum Gefängnis für einen Popkünstler. Paranoid Park hat schließlich den von Alex verschuldeten Unfalltod eines Sicherheitsbeamten zum Inhalt: In den Entwicklungsroman bricht die Tragödie ein.

Durch die Türen der Wahrnehmung

Das Erzählmuster ist unorthodox: Schon früh im Film werden chronologisch später stattfindende Sequenzen eingeschoben. Der Fokus rückt ab von einer Dramaturgie der Situationen und taucht ein in die Erfahrungswelt des jungen Mannes. Besonders die Tonebene stößt dabei Türen der Wahrnehmung auf: Nino Rotas Kompositionen für Fellini rahmen die Bilder vom Schulalltag mit einer klassischen Note ein, die melancholischen Lieder des jung verstorbenen Singer-Songwriters Elliot Smith – der ebenfalls aus Portland kam – spielen mit der Attraktivität einer Jugend-Malaise.

Der Klangteppich von Paranoid Park ist außergewöhnlich und legt Zeugnis ab von Van Sants künstlerischer Sozialisation: Der Regisseur hat selbst Alben aufgenommen und ist ein Musikliebhaber. Für Elephantund Last Days verwendete er Stücke der deutschen Tonkünstlerin Hildegard Westerkamp, in Paranoid Park darf Ethan Rose aus diversen alten und neuen Gegenständen Geräusche quetschen und diese am Rechner zu fragiler Seelenmusik vermengen. Gus Van Sant ist als Künstler auch beeinflusst von Popartisten: Mit dem Hauptdarsteller aus My Own Private Idaho, dem an einer Überdosis Rauschgift verstorbenen River Phoenix, wollte er sogar einen Film zum Leben Warhols realisieren. Als Regisseur nimmt er popkulturelle Versatzstücke – die Skater-Ästhetik, die Musik – und bringt sie in andere Sinnzusammenhänge.

In einer beeindruckenden Sequenz von Paranoid Park sieht man Alex beim Reinigen in der Dusche: Was bei den meisten anderen Filmemachern als kathartische Handlung wirken würde, bewahrt sich bei Van Sant einen magischen Bildreiz. Die Zeitlupe des Kameramanns Christopher Doyle (die Super-8-Aufnahmen dazwischen stammen von Rain Li), der intensiver werdende Teppich aus elektronischer Musik und Gabe Nevins geknickter, nackter Körper ermöglichen eine Loslösung aus dramaturgischen Bögen. Das sind Minuten einer puren filmischen Wahrnehmung, wie sie nur mehr äußerst selten erreicht wird.

ZUR PERSON

Gus Van Sant (*1952, Louisville, Kentucky) etablierte sich mit Filmen wie „Mala Noche“ (1985) in der US-Independent-Szene. Der Oscar-Erfolg „Good Will Hunting“ (1997) führt zu einer Hollywood-Phase, ab 2002 folgte eine Serie formal gewagter Studien wie der Cannes-Sieger „Elephant“ (2003).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2007)

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