"Eastern Promises": Die Schönheit aufgerissener Körper

Tobis
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Eine Geschichte der Gewalt aus Londons Unterwelt: David Cronenbergs großartiger Thriller „Tödliche Versprechen – Eastern Promises“. Ab Donnerstag.

Nach einem Kehlenschnitt rinnt das Blut rot über den Hals des Russen: Die Eröffnungszene von David Cronenbergs Thriller Tödliche Versprechen – Eastern Promises ist brutal unterinszeniert dafür, dass sie in Londons Unterwelt einführen soll. Sie erzählt im nüchternen Bildjargon des Kameramanns Peter Suschitzky vom Kern des Films: Der Barbierladen, in dem die Mordtat vonstatten geht, ist in seiner altmodischen Erscheinung ebenso ein Täuschungsmanöver wie die Freundlichkeit der Männer, bevor sie ihrem Opfer das Messer in die Kehle rammen. Das Motiv der falschen Namen und geheimen Identitäten, der Finten, versteckten Begehren und verhängnisvollen Lügen kehrt in den Filmen des Kanadiers Cronenberg stets wieder.

Wenn eingangs ein Türke dem psychisch kranken Neffen befiehlt, die Klinge zu führen, dann verweist das schon auf die verschobenen Familienachsen, die bei Cronenberg immer bestimmend waren und Tödliche Versprechen dominieren. Ein Schnitt führt danach in ein Krankenhaus zu einer Notgeburt: Die jugendliche Mutter verstirbt am OP-Tisch, das Baby verbleibt der Vorweihnachtstage im Krankenhaus unter der Obhut von Schwester Anne. Naomi Watts spielt diese blonde Britin russischer Herkunft mit jener Aufrichtig- und Herzlichkeit, wie sie in den Filmen von David Cronenberg immer scheitern muss. Die Protagonistinnen von Die Fliege (1986) und Die Unzertrennlichen (1988) stehen Anne am nächsten: Frauen in der Auseinandersetzung mit mutierten Männlichkeiten, wie sie kein anderer Filmemacher auf die Leinwand bringt.

Recherche zur Unmenschlichkeit

Anne taucht über das Tagebuch der Verstorbenen ein in die Körperpolitik des russischen Kriminals: Sie liest, wie sich Kerle an Mädchen vergehen, sich anschließend derer Leiber entledigen. Ihr Onkel warnt sie beim Abendessen davor, „die Rassen zu vermischen“, das sei der Grund gewesen, weshalb sie ihr Baby verloren hätte. Wie im letzten Cronenberg-Film A History of Violence fällt vermeintlich Überkommenes oder Verdrängtes (organisiertes Verbrechen, Rassenhass, Frauenhass) in die Gegenwart ein.

Beide Filme sind geprägt von Cronenbergs ausufernder Recherche zur Geschichte der Unmenschlichkeit: Der kriminelle Dachverband „Wory w zakone“ im rotplüschigen Zentrum von Tödliche Versprechen, ist als Geheimgesellschaft im Londoner Restaurant „Trans-Siberian“ selbst das Resultat einer Mutation, allerdings der einer gesellschaftspolitischen Landschaft. Jene bewaffneten Banden, die nach der Revolution 1917 in Russland Machtpositionen besetzt haben, sind unter Stalin zerschlagen und in Gefangenenlager gesperrt worden.

Dort haben sich die Kriminellen solidarisiert und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion maßgebliche Positionen in der „Unterwelt“ besetzt: Die von Semyon (Armin Müller-Stahl) geführte Londoner Niederlassung ist daraus gewachsen. Wenn also Anne an die mächtige Türe des „Trans-Siberian“ klopft, nachdem sie das Tagebuch der Toten dorthin führt, tritt sie ein in ein aggressives, ausschließlich männliches Zwischenreich, in dem ihre humanistischen Ideale gegen eine Traditionsmauer rennen.

Erotische Männerbeziehungen

Dort trifft sie auch zum ersten Mal auf Fahrer Nikolai (Viggo Mortensen in einer Lebensrolle), der Semyons psychopathischen Sohn Kirill (der französische Starschauspieler Vincent Cassel) unterstützt und gängelt. Die erotisch aufgeladene Beziehung zwischen diesen beiden Männern rückt zunehmend in den Vordergrund: Die Tätowierungen ihrer Körper werden zum Schlüssel für Cronenbergs Film.

Die Männer in den sowjetischen Gefangenenlagern haben sich ihre Leiber mit den Lebensgeschichten bezeichnet: Die an bestimmten Stellen des Körpers eingeschrieben Symbole haben Auskunft gegeben über die Persönlichkeit ihres „Trägers“. Wenn Nikolai schließlich von Semyon in den Rang eines Mitglieds der „Wory w zakone“ erhoben wird, passiert das über Tätowierungen: Die Körper „mutieren“ wie in anderen Filmen des Regisseurs, der in den 70ern mit Frühwerken wie Rabid oder The Brood den einschlägigen Body Horror mitbegründete.

Tödliche Versprechen findet seine Schlüsselszene schließlich in einem Badehaus, in dem sich ein Drei-Mann-Kampf entspinnt: Es ist ein so schönes wie gewalttätiges Schauspiel, in dem Körper aufgerissen und umher geschmissen werden. Die Narben die davon zurück bleiben, werden die History of Violence der Figuren weitererzählen.

ZUR PERSON

David Cronenberg (*1943, Toronto) gilt als einer der originellsten Regisseure. Er erregte in den 1970ern mit ungewöhnlichen Low-Budget-Horrorfilmen („Shivers“, „Rabid“) Aufsehen: Mutationen von Körper und Seele blieben sein Thema, in Genrefilmen („Die Fliege“) wie Literaturadaptionen („Crash“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2007)

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