"The Darjeeling Limited": Opiat fürs Seelenwehweh

Centfox
  • Drucken

Neu im Kino. Erstarrt: Wes Andersons Zugreise „The Darjeeling Limited.“ Ab Freitag.

Where do you go to my lovely?“ – das scheint sich Regisseur Wes Anderson mit Peter Sarstedts melancholisch französelnder Hymne aus Hippie-Tagen auch gefragt zu haben. Jedenfalls kurz, in der hübschen Miniatur Hotel Chevalier, die als einleitendes Vorspiel zur Familientragikomödie The Darjeeling Limited dient, vorab ein wenig Hintergrund liefert zu einem der drei Whitman-Brüder, die im Langfilm Indien bereisen.

Im Vorfilm wird Jack (Jason Schwartzman) im Hotel von seiner Freundin (unwirklich unterm Jean-Seberg-Bubikopf: Natalie Portman) besucht: Man tauscht ein paar Sätze, blickt versonnen aufs Paris-Panorama, sinniert (vermutlich) über Narben. Jene, die kurz auf dem nackten Leib der Frau zu sehen sind, und jene, die zweifellos beide Seelen zeichnen. Aus Jacks iPod erklingt dazu mehrfach Sarstedts Lied von verflossener Liebe – ursprünglich hätte Hotel Chevalier nur ein iPod-Download sein sollen. Aber der Kurzfilm ist mehr als ein moderner Marketingkniff: Er hat etwas von der Magie, die der Filmemacher Wes Anderson in seinen besten Momenten erreicht.

Die unverwechselbare visuelle Präzision seiner farblich sorgfältig abgestimmten Guckkasten-Arrangements hat Anderson den Ruch des Formalisten eingetragen, hier gibt sie dem knappen Entwurf eines Wiedersehens eine Form, hinter der (Anspielungs-)Reichtum zu erahnen ist.

Alles voller Nippes und Bedeutung

Den umgekehrten Weg schlägt dann The Darjeeling Limited ein: Die Bilder sind wieder vollgestopft mit dekorativem Nippes, aber vor allem mit vorgefertigter Bedeutung – damit bleibt (zu) wenig Raum fürs Gefühl. Der Frage, wohin es nun gehen soll mit seinem im Markenzeichen-Design erstarrenden Werk, stellt sich Anderson nur geografisch, nicht ästhetisch: Die patentierte Mixtur aus Exzentrik und Melancholie, aus Verletzbarkeit und schrägem Witz hat er kurzerhand in einen Zug quer durch Indien verlegt, der dem Film auch den Titel gibt.

Der älteste Spross des Whitman-Clans (bandagiert: Owen Wilson) bittet nach einem Unfall seine zwei entfremdeten Brüder (Adrien Brody und Schwartzman) zur gemeinsamen Reise: Ein spiritueller Heilungstrip soll es werden, wird immer wieder, nicht ohne (Selbst-)Ironie, betont. Als würde es genügen, sich ins Land der Spiritualität zu begeben, damit sich Gnade einstellt.

Im Kontrollwahn von Wilsons Figur, der den Brüdern sogar das Essen bestellt, ist ein satirisches Selbstporträt des detailbesessenen Regisseurs zu erahnen: Auch sein Indienausflug ist als spirituelle Suche nach Freiheit zu sehen, im Gefolge klassischer Regie-Humanisten wie Jean Renoir (dessen Indien-Film The River war Inspiration) und Satyajit Ray (dessen Filmmusiken packt Anderson zwischen die handverlesenen Pop-Songs von den Kinks – und Sarstedt).

Abenteuer mit Stewardess und Schlange

Der Zug als Schauplatz ist mit ruckelnder Bewegung und engen Gängen eine stilistische Herausforderung für Andersons bevorzugte Bauweise aus symmetrischen Breitwandbildern, aber schnell stellt herrscht wieder das Gefühl der Erstarrung. Denn die Reise ist großteils als Leerlauf konstruiert, wissend zwar, aber deshalb nicht weniger frustrierend. Skurrile Abenteuer mit Zugbegleiterin (erotisch), Schlange (gefährlich) Pfefferspray (missbräuchlich) erheitern als Zwischenspiel, aber die Pointe ist so betäubend wie die opiatreiche Medizin, der die Brüder ausgiebig zwischendurch zusprechen: Vor lauter Narzissmus kommt das tragikomische Trio nie zur erhofften Transzendenz. Sie sind Gefangene ihrer Seelenwehwehchen und von Andersons kalkulierten Kompositionen: Da hilft auch eine raffinierte Rückblendenidee nichts. Als eine Tragödie unter Einheimischen doch noch für die Epiphanie sorgen soll, ist das eher vage beleidigend nach all der bewussten Ignoranz.

Das Verpflanzen eines New Yorker Neurosenclans à la The Royal Tenenbaums in die Dritte Welt hat nicht den erhofften befreienden Effekt. Es ist wie mit der platten visuellen Metapher vom Gepäck des toten Vaters (im makellosen Anderson-Einheitsdesign), das die Brüder mitschleppen – emotional baggage, wie es auf Englisch so schön heißt: Unweigerlich denkt man eher an dead weight, ans Leergewicht, das dieser Film nicht abschütteln kann – bis zehn Minuten vor Schluss Anjelica Huston, einst schon Tenenbaum-Matriarchin, als Mutter auftritt und Witz, Weisheit, aber vor allem Leben in den Film bringt. Aber da ist es zu spät: Der (Ideen-)Zug ist längst abgefahren.

ZUR PERSON

Wes Anderson (*1969, Houston, Texas) wurde für den unverwechselbaren Stil seiner Tragikomödien wie „Rushmore“ (1998) und „The Royal Tenenbaums“ (2001) weltweit gefeiert: Martin Scorsese nannte ihn gar „the next Martin Scorsese“. „The Darjeeling Limited“ ist Andersons fünfter Spielfilm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.