"Ratatouille": Eine Ratte mit gutem Geschmack

(c) Walt Disney Pictures
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Neu im Kino. Die hinreißende, humanistische Animation „Ratatouille“. Ab Mittwoch.

Für Rattenmann Remy ist guter Geschmack Voraussetzung eines erfüllten Lebens. Während sich seine Artgenossen mit kompostierten Lebensmitteln überfressen, kultiviert der Nager-Bonvivant seine gustatorische Wahrnehmung mit ausgesuchten Käsesorten und Obst. Die Kombination bringt seine Geschmacksknospen zur Explosion: In Brad Birds Animationsfilm Ratatouille tanzen dann zur Musik die Linien in abstrakten Formen und Figuren, was an den deutschen Strukturfilmpionier Oskar Fischinger wie an Disneys rhythmische Animation Fantasia von 1940 erinnert.

Feinschmecker gefährdet Sippschaft

Doch Remys Vollendung der Feinschmeckerei bringt seine Sippschaft in Gefahr: Das Versteck der Nager wird von einer resoluten Dame mit Schrotflinte beschossen, sie müssen flussabwärts fliehen. Remy bleibt dabei zurück: Er gleitet auf einem unter Einsatz des Lebens geretteten Kochbuch von Hauben-Chef Gusteau gen Kanalisation.

Schon in diesem Prolog fruchtet das klassische Spiel mit Gegensätzen: Das paradoxe Bild der kultivierten Ratte wird Ankerpunkt der Erzählung. Beseelt vom schwabbeligen Geist Gusteaus – der segnete nach Rückstufung seines Pariser Restaurants durch den scharfzüngigen Kritiker Anton Ego das Zeitliche – schafft Remy den Sprung an die Oberfläche der Metropole. Die Blaupause ist die einer Heldenreise: Die Ratte verharrt nicht am vorherbestimmten Ort, sondern wächst über sich hinaus und landet (ausgerechnet) in der Küche von Gusteaus Restaurant. Die leitet nunmehr der zwergenhaften Skinner und verscherbelt den guten Namen des Hauses an Fertigprodukt-Fabrikanten.

Remy betritt die Szenerie gleichzeitig mit dem Küchenschani Linguini: Regisseur Bird lässt keinen Zweifel daran, dass die ungleichen Figuren Hälften ein und derselben Person sind. Der Ratte fehlt der Körper, dem Menschen das Talent zum Kochen: So müssen sie die natürliche Scheu voreinander überwinden und ihre Fähigkeiten bündeln.

Die Grundzüge von Birds Kino – Durchbrechen von Ständeschranken, Selbstermächtigung und Ablehnung von Schicksalsgläubigkeit – erinnern an den humanistischen Screwball-Meister Preston Sturges: Beide glauben ans Potenzial des einfachen Menschen, das sich erst durch Überwindung systemischer, von Kapitalisten gesetzter Schranken entfaltet. Beide formulieren profunde, oft nüchterne Gesellschaftskritik in warmherzigen moralischen Komödien.

Bird denkt Animation über das Genre des Kinder- oder Familienfilms hinaus. Sein unterschätztes Debüt Der Gigant aus dem All erzählte von der Freundschaft eines Roboters zu einem kleinen Kind: Der Metallriese erhielt Grundausbildung in menschlichen Tugenden und kämpfte gegen seine Zweckbestimmung als Kriegswaffe. Auch Birds Die Unglaublichen, wie Ratatouille von Pixar Animation für Disney produziert, handelte von Selbstbefreiung: Eine von repressiven Autoritäten zum Spießbürgerleben gezwungene Superheldenfamilie gab die Vorstadt-Identitäten auf, um den Vater zu retten.

Mehr als ein Kinderfilm

Auch in Ratatouille kommt der Moment, in dem Linguini und Remy ihre Allianz öffentlich machen müssen: Dazwischen liegen ein gutes Dutzend liebenswerter Nebenfiguren – allen voran Gourmetkritiker Anton Ego, im Original gesprochen von Peter O'Toole –, großartige Tricktechnik, flotter Dialogwitz und netter, wenn auch missglückter Slapstick. Der Film ist nicht nur auf Kinderaugen abgestellt: Ihm fehlt der Nummernrevuecharakter anderer Pixar-Produktionen, deren familienfreundliches Korsett.

Bird arbeitet nun am Projekt 1906 über das Erdbeben von San Francisco. Es soll sein erster Realfilm werden.

ZUR PERSON

Regisseur Brad Bird (*1957, Kalispell, Montana) fiel zuerst im TV auf, 1987 mit einer animierten Episode für Spielbergs „Amazing Stories“, dann war er lange bei den „Simpsons“. „Der Gigant aus dem All“ war 1999 sein Kinodebüt, 2005 erhielt sein „Die Unglaublichen“ den Animations-Oscar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2007)

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