Alles ganz bedeutsam: "Auf der anderen Seite"

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Neu im Kino. Zu Tode konstruiert: Fatih Akins deutsch-türkische Episoden in „Auf der anderen Seite“. Ab heute.

Der Tod kommt zweimal: Zu Yeter, die aus der Türkei nach Deutschland ging und Prostituierte wurde, und zu Lotte, einer deutschen Studentin, die in der Türkei ihrer verhafteten Aktivistinnengeliebten helfen will. Der Tod ist angekündigt: Die Überschriften der ersten zwei Kapitel in Fatih Akins dreiteiligem Film Auf der anderen Seite verraten die Schicksale von Yeter und Lotte, noch bevor sie auftreten. Der Tod ist abrupt: Ein unbedachter, zu heftiger Schlag; eine aus Kinderhand, wie im Spiel abgefeuerte Pistole.

Und der Tod ist sinnlos: Das ist wohl, was diese Sterbeszenen zu den besten des Films macht. Sie sind trocken inszeniert, gerade deshalb kräftig: Ihre undramatische Beiläufigkeit steht in keinem Verhältnis zur Endgültigkeit der Tat, das gibt ihnen emotionale Resonanz. Ansonsten werden einem trotz ruhigen Tempos ständig Sinn und tiefere Bedeutung um die Ohren geschlagen, die Gefühle so lang und breit erklärt, bis sie sich verflüchtigen: Resonanz kommt da nur vom papierenen Rascheln der Drehbuchseiten.

Irgendwie ironisch: Weil die Tode unausweichlich sind, lässt das (forcierte, aber immerhin) Understatement ihrer Inszenierung jene angestrebte Freiheit erahnen, die sonst unter der Bleischwere des Bauplans begraben bleibt. Große Themen drücken auf die vielen kleinen Schnörkel der Erzählung: Verlust oder Versöhnung nicht bloß der Personen, nein der Nationen. Ein Sarg fliegt nach Osten, einer nach Westen. Bedeutung überall, Verbindungen sowieso: Die Geliebte der toten Lotte ist natürlich Yeters Tochter.

Akin baut eine modische Versuchsanordnung, deren Figuren sichtlich den Vorgaben des Drehbuchs folgen: Das macht sie so leblos. Das bleibt auch der Film, denn spielen mit der Struktur, dem (Über-)Konstruierten will der Autor und Regisseur nicht, und auch nicht die Punk-Energie seines Gegen die Wand, sondern die Naivität früherer Filme.

Das Planspiel wäre gern naiv

Aber das Naive wirkt im Planspiel-Kontext so aufgesetzt wie manieristische Anwandlungen: Ganz steiler Kamerawinkel auf Klageweib Hanna Schygulla, einsam als Lottes Mama; ganz viel Montage in der lesbischen Sexszene, das repräsentiert irgendwie Freiraum zwischen Welten und Regimes; ganzkurzer plumper Dialog in schlechtem Englisch, der irgendwie das Politische untermauern soll. Vielleicht wird es mit dem EU-Beitritt irgendwie besser, sagt Lottes Mama zur türkischen Aktivistin, die schreit: „Fuck the EU!“ Womit irgendwie alles gesagt sein soll. Alles irgendwie ziemlich unbefriedigend.

ZUR PERSON

Fatih Akin (*1973, Hamburg) gilt seit dem Goldenen Bären für sein „Gegen die Wand“ 2004 als Hoffnungsträger des deutsch-türkischen Kinos. „Auf der anderen Seite“ erhielt heuer den Drehbuchpreis in Cannes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2007)

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