Fantastisch ist hier nur die Szene

(c) Bayrische Staatsoper
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Oper München. "Alice in Wonderland", Uraufführung an der bayrischen Staatsoper.

Mehrfach hätte man die Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele verkaufen können. Doch stieß der neue Münchner GMD Kent Nagano mit einer veritablen Uraufführung auf viel Unverständnis. Schon zur Pause begnügte sich das Publikum mit verhaltenem Höflichkeitsapplaus, am Schluss gewannen Buhrufe rasch die Oberhand, nach wenigen Minuten drängten die Besucher zu den Ausgängen. Sie hatten offensichtlich andere Vorstellungen von dieser Reise in die ihnen durch Film und Buch vertraute Traumwelt als die aus Korea stammende, in Berlin lebende, von Nagano seit Jahren geförderten Komponistin Unsuk Chin.

Lewis Carrolls Alice-Geschichten hatten sie immer schon fasziniert. Vor zehn Jahren ließ sie sich davon zu ihrem „Akrostichon-Wortspiel für Sopran und Ensemble“ inspirieren. Bald keimte der Wunsch zu einer abendfüllenden Alice-Oper auf. Doch erst als sich zeigte, dass Chins Lehrer György Ligeti diesen Plan nicht mehr würde ausführen können, suchte sie sich mit David Henry Hwang einen Librettisten für ihre „Aneinanderreihungen diverser Zustände voll Absurdität, Wortspielen und nonsense“.

Puppen aus der bunten Fantasiewelt

Schließlich hatte Chin ihren Wunschtext: sieben von zwei Träumen eingerahmte Szenen, dazu zwei Interludien. Eine vielfältig schillernde, laufend die Frage nach der Identität stellende Bilderwelt. Als solche fasst Regisseur Achim Freyer diese keineswegs zusammenhängende Szenenfolge auch auf. Wie seine Kostümbildnerin Nina Weitzner von den Surrealisten und Beispielen der Art Brut beeinflusst, lässt er auf einer schiefen, im Laufe des Abends unterschiedlich ausgeleuchteten Ebene spielen. Aus ihren Öffnungen entsteigen die Alices Fantasiewelt entstammenden Gestalten, wie Puppen an Seilen geführt. Mittendrin Alice, mit großer Maske und einem Reifrock elisabethanischen Stils. Davor, an der Rampe, die schwarz gekleideten Sänger. Sie kommentieren die Szenen auf individuelle Art. Man sieht von ihnen anfangs lediglich das an Ausdruck reiche Spiel weiß gekleideter Hände.

Gwyneth Jones als Herzkönigin

Unsuk Chin setzt auf Vielfalt, einen Stilmix von ironisch gefärbten Barockanklängen, an Czerny gemahnende etüdenartige Passagen, komplizierten, dennoch wie improvisatorisch klingenden polyrhythmischen Partien, sich zuweilen dramatisch aufbäumenden Klangflächen, subtilen Glockentönen. Von den Sängern fordert sie Sprechen, rhythmisches Deklamieren, eingängige Kantilenen. Dazu lassen sich für einzelne Personen Leitmotive ausmachen.

Wohlüberlegt, den überspannten White Rabbit einem Countertenor (hinreißend Andrew Watts), die Herzkönigin einem dramatischen Sopran (herzlich akklamiert Gwyneth Jones), die Titelfigur einem lyrischen Sopran (insgesamt überzeugend Sally Matthews), den grübelnden Mad Hatter einem Bariton (ausgezeichnet Dietrich Henschel) anzuvertrauen. Schließlich ist die Komponistin auch angetreten, mit dieser „Alice“ die romantische Oper zu parodieren. Noch fehlt der Koreanerin der kompositorische Atem, dieses immerhin über zweistündige musikalische Crossover zu einem wenigstens teilweise spannenden Ganzen zu verknüpfen, zu sehr haftet ihre penible Konzentration an zu vielen Details.

Daran vermochte auch das noch so konturierte Agieren der hochkarätigen Sängerriege, des unter Nagano engagiert aufspielenden Staatsorchesters und der gut vorbereiteten Chöre der Bayerischen Staatsoper nichts zu ändern. Die Szene blieb das Ereignis des Abends.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2007)

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