Bayreuth: Wehrt euren Meistern!

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Katharina Wagner hinterfragte die "Meistersinger" – und erntete.

Die „Meistersinger“ waren das nicht! Oder doch? Katharina Wagner hat für ihr Bayreuther Festspieldebüt die längste Oper ihres Urgroßvaters auf ihre Wirkungsgeschichte hin befragt und bringt auf die Bühne, wie aus einer Menschheitskomödie ein Drama der Unmenschlichkeit werden konnte. Das schmerzt, denn der jüngste Spross der Wagner-Dynastie hat umzugehen gelernt mit Menschenmassen wie mit Individuen auf der Szene, stellt im Einheitsdekor Tilo Steffens, das aussieht wie eine gigantische Variante des Atriums der Villa Wahnfried, einprägsame Bilder, inszeniert Konfrontationen von höchster Eindringlichkeit.

Nur die Handlung der Meistersinger erzählt sie nicht. Sie verweigert nicht nur jegliche Butzenscheiben-Romantik. Hans Sachs spannt auch kein Leder über den Leisten, Sixtus Beckmesser begleitet sein Ständchen nicht auf der Laute und merkt auch keine Fehler mit Kreide an.

Doch die Verweigerung sitzt tiefer. Die neue Inszenierung befragt sozusagen rückwirkend all ihre Vorgängerproduktionen, wo denn die Reflexionen über all jene Missverständnisse und bewussten Camouflagen und Verdrehungen geblieben sind, die Sätze wie Hans Sachsens Warnung vor „welschem Dunst und Tand“ im „deutschen Land“ ausgelöst haben. Sie befragt auch Wagners Text, wie sich ein Außenseiter und Freigeist vom Format eines Hans Sachs in der Sonne der Publikumsgunst zum Traditionsbewahrer wandeln kann – und Wagners Musik, ob in den scheinbar hilflosen Tonfolgen der Beckmesser-Musik nicht doch auch gesundes Revolutionspotenzial gegen allzu breit fließende Preisliedterzen stecken könnte.

Sachsens Metamorphose zur Führerfigur

Gut wird böse, bös wird gut – so scheint es. Katharina Wagner hat ihre „Meistersinger“ studiert und setzt auch voraus, dass das Bayreuther Publikum keine simple Nacherzählung der Handlung braucht, um sich mit der Wirkungsgeschichte eines lieb gewordenen Werks auseinanderzusetzen. Bei Festspielen sollte das, undenkbar für ein Repertoiretheater, immerhin möglich sein. Vor allem dann, wenn die oft drastischen Bilderfolgen so effektsicher choreografiert sind wie diesmal.

Sachsens Metamorphose vom nachdenklich Formen sprengenden Individualisten zur Führerfigur, die keine Scheu hat, mit dem Müll des Polterabends gleich auch missliebige Zeitgenossen zu verbrennen, ein jäher Theatercoup, in dem sich die Freizeitgesellschaft der Festwiesenszene im Handstreich in uniformierte, allem applaudierende Festspielgäste verwandelt, aber auch feinsinnig ausgespielte Beziehungsgespinste wie jene zwischen Sachs und Beckmesser in der Schusterstube: Die optische Gestaltung sitzt im Großen wie en detail perfekt.

Das sorgt für Verwirrung der Gefühle im zuweilen peinlich berührten Betrachter, Verwirrung, die weit über den Ärger angesichts fehlender oder ins pure Gegenteil verkehrter Handlungsdetails hinausgeht. Die Botschaft, die hier überbracht wird, ist nur allzu verständlich. Auf dem Höhepunkt des Spuks werden die Büsten deutscher Heroen von Schiller bis Beethoven lebendig – der Polterabend wandelt sich zum Pandämonium: Was wir ererbt von unseren Vätern, hat offenbar finstere Abgründe. Große Geister werden zu Gespenstern.

Die Macht solcher Bilder droht die musikalische Qualität des Bayreuther Eröffnungsabends zu erdrücken. Dabei verrät bereits das Vorspiel, dass Sebastian Weigle am Pult Wagners Partitur unerhört transparent zu machen versteht, ungeahnte Stimmen im sonst gern pastos dicken Kontrapunkt lebendig werden lässt. Vor allem die Holzbläser agieren in dieser Aufführung beweglich und beredt wie kaum zuvor, kommentieren karikierend, kichernd, manchmal auch aggressiv, was sich an seelischen und szenischen Wirren ereignet. Wo der Inszenierung realistische Pointen fehlen mögen, werden sie immerhin hörbar.

Vokale Wechselbäder

Allerdings trüben vokale Mangelerscheinungen die musikalische Qualität deutlich. Für Franz Hawlata war dieses Bayreuther Sachs-Debüt ein rabenschwarzer Abend. Er kam nur mit Mühe und hörbarer Anstrengung durch die mörderischen Längen der Partie. Auch Amanda Mace klang zuletzt als Evchen nur noch gequält.

Dem stehen Meisterleistungen wie der agile, auch vokal herrlich bewegliche David von Norbert Ernst und, vor allem, der Beckmesser Michael Volles gegenüber, dessen Stimme selbst in den Momenten expressiven Sprechgesangs klangvoll bleibt. Die Umwertung aller Werte, die in dieser Inszenierung gerade den missliebigen Stadtschreiber zum einzig mutigen Subjekt auf der Szene macht, findet ungewollt ihre tönende Entsprechung dank der eindeutigen vokalen Vormachtstellung dieses Sängers im Ensemble.

Selbst der vom Publikum umjubelte Klaus Florian Vogt kann da nicht ganz mithalten. Vom Stimmcharakter her wäre er eher David als Walther von Stolzing – doch punktet er mit bemerkenswerter Durchhaltekraft, trumpft in der letzten Reprise des Preislieds noch einmal, und jetzt wirklich strahlend, auf. Außerdem sieht er aus wie der jugendliche Sunnyboy, der auf sämtliche Regeln und Vorschriften pfeift und Denkmäler mit Farbe beschmiert. Auch er spielt das perfide Verwandlungsspiel glaubwürdig mit: Zuletzt erscheint Beckmesser im T-Shirt, während der Ritter längst Krawatte trägt.

Die szenische Einbindung sämtlicher Mitwirkender gelang jedenfalls perfekt, ob stimmlich mangelhaft wie die Magdalene Carola Gubers, auffallend wohlklingend wie der Kothner Markus Eiches oder überraschend frisch geblieben wie Artur Korns Pogner. Die gemeinsame Kraftanstrengung hat auf dem grünen Hügel bewirkt, dass 2000 Festgäste in den Pausen und danach über Wagners „Meistersinger“ diskutierten. Was vermutlich zu Sinn und Zweck von Festspielen unabdingbar dazugehören sollte.

BAYREUTH 2007: Reaktionen

Heftige Buhrufe gab es nach dem finsteren Finale der Neuinszenierung für das Regieteam um Katharina Wagner (links), aber auch für die Darsteller von Hans Sachs und Eva. Jubel für Michael Volle und den jungen Tenor Klaus Florian Vogt.

Staatsempfang: Zum letzten Mal richtete Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber für die Ehrengäste den Staatsempfang im Bayreuther Schloss aus.

Unter den Geladenen: Kanzlerin Angela Merkel (rechts), EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Deutschlands Ex-Präsidenten Scheel und Herzog, aber auch „Seitenblicke“-Stars von Fürstin Gloria bis Roberto Blanco.[EPA/Karmann] Siehe Seite 18

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2007)

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