Interview vor der Premiere: "Der Krieg als Spielfeld des Teufels"

'Max hält dem Druck nicht stand': Falk Richters Inszenierung hat am Freitag Premiere.
'Max hält dem Druck nicht stand': Falk Richters Inszenierung hat am Freitag Premiere.(c) DiePresse (Clemens Fabry)
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Falk Richter inszenierte für Salzburg den "Freischütz". Der "Presse" erklärte er, wie und wozu.

Die Presse: Die Religion, der Teufel, das Übersinnliche spielen im „Freischütz“ eine große Rolle. Ist die Oper heute überhaupt noch zeitgemäß?


Falk Richter: Jürgen Flimm hat mich damals gebeten, eine Neufassung des Librettos zu schreiben, da die Texte an einigen Stellen altmodisch und schwer zugänglich wirken. Wir wollten einen Freischütz, der die Geschichte heutig erzählt, ohne die Handlung zu verändern. Das Libretto von Friedrich Kind beruht auf einem Märchen, realistische und fantastische Erzählstränge laufen parallel. Das hat mich interessiert. Ein Märchen, das aber trotzdem eine heutige Geschichte von Prüfungsangst, der Angst vorm Erwachsenwerden, der militärischen Zurichtung junger Männer und den Fragen nach Macht, Lebensangst und Religion erzählt. Der Teufel tritt auf. So etwas hatte ich bislang in noch keinem Theaterstück, das ich inszeniert habe. Das ist eine tolle Herausforderung: Wie zeigt man die dunklen Mächte, die den Max umkreisen.

Presse: Zu welchem Schluss sind sie gekommen?


Richter: Ich habe Ignaz Kirchner als Teufel auf die Bühne gestellt und mit ihm zusammen zwei junge böse Gehilfen, die in die Gedanken und Gefühlswelt der Menschen eindringen, sie lenken und verwirren und verführen. Max  liebt Agathe und muss sich als bester Schütze erweisen, um sie heiraten zu dürfen. Doch er, der früher alles getroffen hat, schießt plötzlich nicht mehr gut. Agathe sagt, sie bringt sich um, wenn er nicht trifft. Und das Volk verlacht ihn, Max gerät unter einen enormen Druck. Alle wollen, dass er erfolgreich ist, alle wollen eine Traumhochzeit sehen: Der beste Scharfschütze und das schönste Mädchen sollen vermählt werden. Samiel, das Teuflische, ist dieser Druck, den Max nicht mehr aushält, und der ihn zu unlauteren Hilfsmitteln greifen lässt.

Presse
: Gibt es Gewehre, Freikugeln, einen Schützenchor?


Richter: Ja. Historisch gesehen wurden auf dem Schützenfest die besten Schützen gekürt, die dann auch Teil der Leibgarde des Fürsten wurden und später als eine Art Eliteeinheit in den Krieg zogen. Im Jägerchor besingen junge Männer die Lust am Kämpfen. Ein richtiger Mann muss sich im Krieg beweisen. Dann erst ist er Mann. Die Jäger haben damals richtige Gemetzel veranstaltet, tausende Stück Wild erlegt. So eine Kampfbereitschaft findet man heute am ehesten bei einer Eliteeinheit des Militärs. Junge Marines, die in ihren Einsatz geschickt werden. Solche Männer würden heute den Jägerchor singen. Der Krieg als Spielfeld des Teufels – das klingt auch im Libretto an.  Kaspar, der die dunkle Seite verkörpert, war lange im 30-jährigen Krieg, dort lernte er den Teufel kennen, der ihm dort die geheime Munition im Tausch gegen seine Seele anbot. Dem gegenüber steht Agathe: Sie glaubt an Gott, ist ein einem Wertesystem aufgehoben, an sie kommt das Böse nicht heran. Die Freikugeln haben für mich symbolischen Charakter. Mit einer Freikugel erreicht man all das, was ausserhalb der eigenen natürlichen Kräfte liegt. Wer eine Freikugel lädt kommt höher, weiter und schneller ans Ziel als alle anderen, aber seine Seele gehört dem Teufel. Samiel sagt einmal: „Ein Mann, der was erreichen will im Leben, muss über Leichen gehen.“ Wer sich mit den dunklen Mächten einlässt, der kommt weiter – ist aber gleichzeitig gefährdeter, denn der Teufel ist von da ab der Spielleiter.

Presse: Was könnte heute eine Freikugel sein?


Richter: Im Radsport etwa das Doping, bei Künstlern bewusstseinserweiternde Drogen, bei Managern Aufputschmittel, im Krieg dreckige Waffen. Die Kernbotschaft der Oper ist, dass das Leben spannender werden kann durch das Böse, man erreicht ungeahnte Ziele, aber es kann auch nach hinten losgehen, das Leben gerät einem außer Kontrolle.

Die Presse: Ist es eine moralische Oper?


Richter: Das Werk hat zwei Schlüsse. Der erste endet tragisch wie im Märchen, Agathe stirbt, Max wird des Landes verwiesen. Die Zensur ließ das nicht durchgehen, sie wollte ein Bekenntnis zum Christentum, ein Happy End. Daher taucht in der entgültigen Fassung der Eremit wie ein deus ex machina auf und wendet alles zum Guten. Am Schluss wird gebetet. Die letzten fünf Minuten sind ein martialisches Bekenntnis zum Christentum. Wehrbereite Menschen bekennen sich zur Religion und wollen alles Böse auf der Welt ausmerzen. Und das, obwohl das Böse unter ihnen ist. Obwohl sie selbst das Böse sind, suchen sie es immer außerhalb von sich. 

Presse: Wie war die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten, den Sängern?


Richter: Ich habe Markus Stenz (Dirigent) schon vor einem Jahr getroffen, für ihn ist es auch der erste Freischütz, er hat sich ganz neu darauf eingelassen. Und die Sänger waren alle sehr offen. Vor Beginn der Festspiel, wo noch kein Druck da ist, ist die Stimmung hier sehr gelöst, die Sänger hatten Lust, Neues auszuprobieren. Der Freischütz ist eigentlich ein Singspiel, keine Oper: ein Drittel des Textes wird gesprochen. Ich habe auch Ignaz Kirchner hergebracht – die Arbeitsweise der Schauspieler hat da teilweise auf die Sänger abgefärbt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2007)

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