Prachtklänge aus dem Nichts

Bayreuther Realität und Visionen: Schlingensief geht, der „Thielemann-Ring“ bleibt – bis 2011?

Augen schließen – lauschen, das ist das beste Rezept, um aus dem „Ring des Nibelungen“, wie er heuer bei den Bayreuther Festspielen geboten wird, Kapital zu schlagen. Denn die Inszenierung, die Tankred Dorst ins nur mäßig stimmungsvolle Bühnenbild Frank Philipp Schlößmanns gestellt hat, ist von lähmender Mattigkeit. Das Konzept, Wagners Mythos als zeitlos zu decouvrieren, indem historische Dimensionen einander überlagern, geht kaum auf. Denn ein einsamer Kraftwerksarbeiter, der durch Nibelheim irrt, lässt diese Idee kaum sinnfällig werden, zumal die Sänger mehrheitlich in gewohnter Manier starr und unbeweglich bleiben.

Gesungen wird uneinheitlich, hervorragend von Interpreten wie Kwangchul Youn, der Fasolt wie Hunding mit kluger Diktion und perfekt geführter Bassstimme charakterisiert, von Adrianne Pieczonka, die höchsten Wohllaut für die Sieglinde aufbringt. Gerhard Siegels Mime-Darstellung ist eine vokal wie schauspielerisch exzellente Studie, der Alberich von Andrew Shore immerhin ein stimmlich durchschlagkräftiger Brutalbösewicht.

Manch durchschnittliche, zu wenig modellierte Leistungen (Michelle Breedts Fricka oder Mihoko Fujimuras Erda) reduzieren die gesangliche Bilanz auf Normalmaß, während wichtige Partien wie der Wotan, den Albert Dohmen wortundeutlich, höchst kurzatmig und unstet singt, oder die Brünnhilde, die Linda Watson ihrem Sopran mit etlichen unbewältigten Spitzentönen mühsam abringt, sträflich unterbesetzt wirken – nicht zuletzt im Vergleich zu den unglaublich differenzierten Tönen, die Christian Thielemann dem Orchester entlockt.

Das wahre Ereignis ist in Bayreuth nicht sichtbar, sondern tönt in oft unfassbar herrlichen Klangwellen aus dem verdeckten Orchesterraum: Die farbliche Feinabstimmung, der große Atem, der oft ganze Szenen zu einem stetigen Bogen verdichtet, die Intensität der Klangrede, die jeder einzelnen Phrase äußerste Dringlichkeit vermittelt, all diese Tugenden machen diesen „Ring“ zu einem musikalischen Ereignis. Dirigierleistungen wie jene Thielemanns hat Bayreuth wohl seit Carlos Kleibers „Tristan“ Mitte der Siebzigerjahre nicht mehr erlebt.

Kann sein, dass die Festspielleitung, je nachdem, wie die Entscheidungen für die Zukunft fallen werden, trotz allem beschließen wird, diesen „Ring“ bis 2011 zu verlängern. Denn nach dem üblichen Pausenjahr soll der neue „Ring“ wohl zu Wagners 200.Geburtstag 2013 geschmiedet werden.

Sicher ist, dass die Festspiele 2008 mit einem neuen „Parsifal“ eröffnet werden. Denn der Schlingensief-Versuch verschwindet nach der diesjährigen Wiederaufnahme. Inszenieren wird 2008 Stefan Herheim, dirigieren Bayreuth-Debütant Daniele Gatti. sin

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2007)

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