Musik als Lebensinhalt – „Quatsch!“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Interview. Auf dem Weg zum eigenen Mythos: Dirigent Christian Thielemann über Pläne und Keulenschläge.

Die Bayreuther Festspiele 2007 sind zu Ende. Christian Thielemann hat am Wochenende noch einmal die „Götterdämmerung“ dirigiert und macht jetzt Urlaub. „Den“, so sagt der Dirigent im Gespräch, „habe ich auch höchst nötig. Ich war jetzt seit Mitte Juni für die Proben und, die Generalproben eingerechnet, 17 Aufführungen in Bayreuth. Viermal der ,Ring‘, das sind schon Keulenschläge. Da kann man nicht einfach ein paar Tage später zur Tagesordnung übergehen.“

Von Dirigenten, die bei übervollem Terminkalender „herumreisen wie die Irren“, wie er das nennt, hält Thielemann nichts: „Die können dann ja nicht jeden Tag die volle Leistung erbringen, die man von ihnen erwartet. Das ist menschenunmöglich. Man kann doch nicht jeden Tag vergeistigt und verinnerlicht sein. Ich bin sehr skeptisch, wenn Leute behaupten, die Musik sei ihr ausschließlicher Lebensinhalt. Das ist doch Quatsch!“

Vielleicht ja doch nach Salzburg

Thielemann gönnt sich, man weiß das in der Branche längst, viele Ruhezeiten. Wenn er vorrechnet, wie sich für einen Dirigenten seines Kalibers ein Terminkalender sozusagen automatisch füllt, dann gibt man ihm gern recht, dass ein Höchstmaß an Belastung rasch erreicht ist: „Schauen Sie“, sagt er, „ich bin Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Mit denen mach ich 30 Konzerte in München und 15 auf Tournee. Macht 45 Abende. Dazu kommt Bayreuth, macht 62. Heuer ein paar ,Meistersinger‘ und ,Parsifal‘-Vorstellungen während der Saison in Wien und ein Konzertprogramm der Berliner Philharmoniker – da sind wir schon auf weit über 70 Abenden.“

Dass es also nicht leicht ist, für Konzertveranstalter und Operndirektoren, Christian Thielemann überhaupt zu engagieren, versteht sich. Dass die zu Zeiten diskutierte Berufung nach Wien nicht zustande kommen konnte, erklärt sich auch: „Da hätte ich“, sagt Thielemann, „München aufgeben müssen und überdies hätte man alle Bedingungen genau klären müssen.“ Wien, so Thielemann, brauche jedenfalls einen Intendanten. Dominique Meyer schätze er sehr und traue ihm zu, von Ioan Holender die Geschäfte zu übernehmen und exzellent weiterzuführen. Ein Dirigent als allein verantwortlicher Direktor nach dem Vorbild Herbert von Karajans, das würde er niemandem empfehlen, kommentiert Thielemann weiter: „Dirigierende Direktoren sind immer an Dingen gescheitert, die mit der Kunst wenig zu tun haben. Außerdem sind die Ansprüche ans Kulturmanagement heute viel höher als damals.“

Gefühl, als Dirigent die Regie zu „stören“

Als Musikdirektor aber könne er schon deshalb nicht zur Verfügung stehen, weil er seine Pause nach der sommerlichen Festspiel-Belastung brauche: „Aber ein Chefdirigent hat am Anfang der Saison in seinem Haus zu sein, er muss die Eröffnung dirigieren.“ Seine eigenen Pläne in Bayreuth reichen freilich weit über das Ende der derzeitigen „Ring“-Serie, 2010, hinaus. Vielleicht ist auch einmal ein Abstecher nach Salzburg für Christian Thielemann denkbar. Und möglicherweise auch die eine oder andere Aufführungsserie während der Saison in der Wiener Staatsoper: „Warum nicht?“, fragt er rhetorisch, „lassen Sie uns doch einmal sehen, was das neue Team plant.“

Seine Verbindung mit den Wiener Philharmonikern, die beinah innig zu nennen ist, sollte gemeinsame Opernabende jedenfalls nicht ausschließen: „Für dieses Orchester“, sagt Thielemann, „ist aber wichtig, was im Musikverein passiert. Denn als Philharmoniker unterstehen sie dem Opernchef ja nicht.“

Und in Sachen philharmonischer Konzerte hat Thielemann bereits sehr konkrete Wiener Pläne: In der Saison 2008/09 beginnt ein auf zwei Spielzeiten und fünf Konzerte ausgelegter Beethoven-Zyklus mit sämtlichen Symphonien des Komponisten. CD- und vielleicht Videoaufnahmen sind ebenso inkludiert wie Konzertreisen, die Orchester und Dirigenten in Sachen Beethoven auch nach Fernost führen werden. „Auch da“, sagt Thielemann, „plane ich aber Pausen ein. Sonst kriegen wir den Beethoven-Koller.“ Dass in der Staatsoper ein neuer „Fidelio“ unter seiner Leitung zumindest angedacht war, dementiert der Dirigent nicht: „Das wäre natürlich die ideale Ergänzung gewesen. Aber da sind Reisepläne dazwischengekommen.“

Also zunächst die Weiterführung des „Rings“ in Bayreuth als zentrales Opernereignis im Thielemannschen Terminkalender. Dass Tankred Dorst für eine verhältnismäßig statische Inszenierung gesorgt hat, stört den Dirigenten gar nicht: „Jedenfalls ist es mir lieber, als wenn zu viel los ist – man hört vielleicht wieder mehr zu.“ Intendanten in aller Welt hätten ja zuletzt immer die Regisseure favorisiert und diesen das letzte Wort zugestanden: „Als Dirigent hat man da manchmal das Gefühl, man stört.“ In Bayreuth hört man ihm zu.

Selbst die sonst so regiehörige deutsche Kritik spricht einhellig vom „Thielemann-Ring“. Ein Kapellmeister muss, scheint's, nicht viel öfter dirigieren, um sein eigener Mythos zu werden.

ZUR PERSON

Der gebürtige Berliner (Jg. 1959) studierte Bratsche, Klavier und Dirigieren. 1979 wurde er Assistent bei Herbert von Karajan in Berlin und Salzburg.

In Bayreuth debütierte er im Jahr 2000 mit den „Meistersingern“, dirigierte mittlerweile auch Parsifal und Tannhäuser sowie 2006 die Neuinszenierung des „Ring“. Thielemann ist designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker.

Am 5.Dezember wird er an der Wiener Staatsoper Mozarts „Requiem“ leiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2007)

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