Berlin: Gentrifizierung als Biennale-Thema

Berlin Gentrifizierung BiennaleThema
Berlin Gentrifizierung BiennaleThema(c) Nilbar Güres
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Zentraler Ausstellungsort der Kunstschau ist heuer ein 1913 erbautes Geschäftsgebäude in der Hausbesetzerhochburg Kreuzberg: Dringliche Wirklichkeiten von Israel bis Mexiko. Am fremdesten wirkt Adolph Menzel.

Um es gleich vorweg zu sagen: Diese sechste Berlin Biennale macht etwas ratlos. Die Auswahl der Werke ist gelungen, vieles ist von hoher Qualität, großzügig präsentiert, feinfühlig kombiniert, die sechs Ausstellungsorte bedeutsam gewählt – und trotzdem kommt kaum Begeisterung auf. Das ist verblüffend, denn eigentlich ist ja alles richtig gemacht.

Bewusst führt uns die Kuratorin Kathrin Rhomberg diesmal nicht durch den ehemaligen Osten Berlins, sondern in die Hausbesetzerhochburg Kreuzberg. Zentraler Ausstellungsort ist ein 1913 erbautes Geschäftshaus. Zehn Jahre stand der Großteil leer, vorher war hier ein Café, dann ein Möbelhaus, zuletzt ein Supermarkt. Jetzt empfängt uns eine überdimensionale Garderobe im Erdgeschoß (Roman Ondak), weiter oben liegen zusammengesuchte Teppiche auf dem Boden (Hans Schabus), jemand reibt mit Gasmaske und Gummihandschuhen die bunten Seiten aus Lifestyle-Magazinen (Andrey Kuzkin) leer, und ein Journalist will in „Episode 3“ den Menschen im Kongo helfen (Renzo Martens) – all diese Werke erzählen von der Wirklichkeit, in der wir leben. Das genau ist auch das Thema. „Was draußen wartet“ betitelt die gebürtige Österreicherin ihre Ausstellung. Aber wo ist dieses „draußen“? In der Fremde, vor der Tür, im anderen oder im eigenen Kopf?

„Draußen“ hier in Kreuzberg heißt zunächst „Gentrifizierung“, denn genau hier beginnt gerade der Verteuerungsprozess der Immobilien. „Draußen“ heißt aber auch Widerstand und Demonstration, 1.-Mai-Krawalle und eine große türkische Gemeinschaft. All diese Elemente integriert Rhomberg in die vier Stockwerke der Ausstellung, sind in den Werken der 30 (von insgesamt 43) Künstler. Das beginnt mit der zurückhaltenden Renovierung, für die Marcus Geiger nur wenige Wände einziehen, manche Türen zumauern und kaum Mauern verputzen ließ. Das kulminiert in Videos von Demonstrationen in Mexiko und verpufft in wunderschönen formalistischen Skulpturen (Gedi Sibony), die hier jedoch ihre Einzigartigkeit verlieren, weil der Umraum zu ähnlich ist. Es ist eine verdammt große Bandbreite, die hier in den Blick gerückt wird. Mit ähnlichem Anspruch auf Vollständigkeit schickt uns die Kuratorin dann auch durch die Stadt, in eine ehemalige Kneipe, in die Gemeindebauwohnung von Danh Vo, in einen Autohändler-Hinterhof und dann ins andere Extrem, auf die Museumsinsel in die Alte Nationalgalerie und zuletzt ins „Mutterhaus“ der Biennale, in die „Kunstwerke“ in Berlin-Mitte. Hier im „KW“ schafft Rhomberg es, die Ausstellung zu konzentrieren, führt er uns von der Holzverschalung eines Hauses samt freilaufenden Hühnern (Petrit Halilaj) in den ultimativen „white cube“, den gleißend weißen, leeren Raum, zu wunderschönen Fotografien und zuletzt in eine Videoinstallation, die das hektische Handeln an der New Yorker Rohstoffbörse mit den Nöten der Fischer im Nigertal konfrontiert (Mark Bolous). Im KW erleben wir die verschiedenen Vorstellungen von Wirklichkeit, die präzise gewählten Werke lenken uns von einem weitgehend offengelassenen „Draußen“ in ein „Drinnen“, in unsere Wahrnehmung, in unsere Verantwortung.

Rückblick ins 19. Jh. ist zu viel

Aber warum müssen wir dafür das Haus durch den Kellereingang betreten? Warum bedarf es dieses Kontrastprogramms vom Hinterhof mit den netten Keramiksäulen und Masken im dunklen Raum (Cameron Jamie) bis zu den Zeichnungen von Adolph Menzel in der Nationalgalerie, die vom US-Kunsthistoriker Michael Fried für die Biennale ausgesucht wurden?

Menzel ist der bedeutendste deutsche Realist des 19. Jahrhunderts, dessen Malerei von historisierenden Darstellungen Friedrichs des Großen bis zu dramatischen Bildern von Stahlarbeitern reicht. Sicher, es sind faszinierende Darstellungen der Wirklichkeit, aber im Biennale-Parcours fast eine Facette zu viel.

AUF EINEN BLICK

Ein buntes Kaleidoskop von gestern bis heute zeigt die Kunstbiennale von Berlin bis 8. August. „Was draußen wartet“ ist das Motto der gebürtigen Österreicherin Kathrin Rhomberg. Vertieft und verinnerlicht wird wenig. Ohne Verinnerlichung kommt jedoch keine Begeisterung auf.Geöffnet: Dienstag bis Donnerstag 10 bis 19, Do bis 22 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2010)

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