Der Mann mit den vielen Gesichtern

Porträt. Gefährlicher Islamist oder Brückenbauer? "Die Presse" traf Tariq Ramadan bei seinem Österreich-Besuch.

Aus Deutschland weht der Pulverdampf des Kulturkampfes her, die Islamo-Angstlust geht um. Das Magazin „Der Spiegel“ titelt „Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung“. Warum? Eine Richterin hat entschieden, dass eine Deutsche marokkanischer Herkunft sich nicht aus Angst vor Prügel scheiden lassen dürfe. Die Frau habe damit „rechnen“ müssen, dass ihr in einem islamischen Land aufgewachsener Mann sein im Koran (Sure 4) verbrieftes „Züchtigungsrecht“ ausübe.

„Darf man als Muslim also seine Frau schlagen?“, fragte die „Presse“ Tariq Ramadan. „Nein, meine Meinung dazu ist klar. Der Prophet hat seine Frau äußerst respektvoll behandelt, aus seinem Vorbild geht hervor, dass es gegen islamische Prinzipien verstößt, seiner Frau Gewalt anzutun.“ Und Steinigung? Ramadan ist für ein Moratorium. „Spricht Amnesty International nicht auch von einem Moratorium der Todesstrafe, weil die Menschenrechtler wissen, dass dies leichter durchzusetzen ist, als wenn man von „Abschaffung“ spricht?“

Tariq Ramadan ist ein Enigma. Fans halten den charismatischen Intellektuellen mit dem makellos getrimmten, graumelierten Dreitagesbart für einen muslimischen Martin Luther, einen Kämpfer für den Euro-Islam, einen mutigen Reformer und brillanten Brückenbauer. Gegner halten ihn für einen zweigesichtigen Wegbereiter „Eurabiens“, bezichtigen ihn des Antisemitismus, des Double-Speak, rücken ihn in die Nähe der fundamentalistischen Muslimbruderschaft.

Ein konservativer Reformer

Dieser Tage ist Ramadan in Österreich: Heute spricht er in Salzburg, am Wochenende war er Stargast der von der „Presse“ unterstützten Konferenz „Islam in Europa“, zu der die Diplomatische Akademie geladen hatte. Ramadan würde wohl versuchen, sein Publikum einzuschätzen, und je nachdem seinen Vortrag gestalten, konnte man Kurt Seinitz von der „Kronen Zeitung“ vor dem Vortragssaal hören – da war er wieder, der Vorwurf der Zweigesichtigkeit.

Ramadan lässt sich kaum in eine Schublade einordnen, das gibt er selbst zu. Vielleicht ist er ein konservativ geprägter reformistischer Salafi – ein rätselhafter Gegensatz, denn Salafisten lehnen Religionsreformen ab und gelten als streng orthodox. Verwirrenderweise kann Salafiyya aber auch als jene Tradition gesehen werden, die (unter dem Eindruck der europäischen Aufklärung) eine Reform des Islam anstrebte. Dass der konservative Intellektuelle Ramadan vom „Islamischen Sozialismus, nicht sozialistisch, nicht kapitalistisch, sondern als drittem Weg“ spricht, macht seinen politischen Standpunkt nicht klarer, bringt ihm aber bei einer orientierungslosen antiimperialistischen Linken, die ihr Heil ausgerechnet im Islam sucht, Sympathie ein.

Dass Ramadan Enkel des Gründers der ägyptischen Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, ist, macht ihn für Kritiker noch verdächtiger: Die Bewegung gilt als Wiege des politischen Islam, 1948 ermordete ein Anhänger der Bruderschaft den damaligen ägyptischen Premier Mahmud Fahmi Noukrashi, woraufhin ein Geheimagent 1949 al-Banna ermordete. Ramadans Vater, Said (al-Bannas Lieblingsschüler und Schwiegersohn), flüchtete nach dem Verbot der Bruderschaft 1954 nach Genf, wo er als Vertreter der Bruderschaft in Europa galt. Seinen jüngsten Sohn taufte er auf den Namen Tariq – eine Referenz an Tariq Ibn Ziyad, den muslimischen Eroberer Spaniens.

Kurz nach der Matura heiratet Tariq Ramadan eine zum Islam übergetretene Schweizerin, 1992 geht er zum Koranstudium nach Kairo, zurück in Genf verhindert er 1993 die Aufführung von Voltaires Stück: „Le fanatisme ou Mahomet le Prophète“ („Mahomet der Prophet“). Mit der Gründung der Organisation „Musulmans, Musulmanes de Suisse“ wird er der führende muslimische Aktivist in der Schweiz. 2004 bekommt er einen Lehrstuhl in den USA, den er wieder zurücklegen muss, weil ihm die Einwanderungsbehörden wegen des Patriot Acts die Einreise verweigern. Heute ist Ramadan Gastprofessor an der Universität Oxford.

Sympathie für „humanistische Atheisten“

In Wien trug er sein Credo vom Euro-Islam vor: Die Muslime hätten ein Recht auf ihre Identität, müssten sich aber zum Staat, in dem sie leben, bekennen. Seine Glaubwürdigkeit, sagt Ramadan zur „Presse“, beziehe er daraus, dass er mit Argumenten aus der islamischen Tradition operiere. Im Koran stehe nichts von Steinigung, ebenso wenig von der Beschneidung der Frau, oder dass Frauen (wie in Saudiarabien) nicht Auto fahren dürfen. Da würden Stammesriten als Religionsgebote dargestellt. Für ihn ist ijtihâd, kritisches Studium des Koran und der Hadithen, der Ausweg. Der Islam brauche Öffnung, Reform.

Und was ist mit den säkularen Humanisten, die sich zunehmend zwischen Fanatikern und Fundamentalisten, angstlüsternen Zündlern und Hasspredigern eingezwängt sehen? „Die kann ich beruhigen. Ich habe mit einem humanistischen Atheisten mehr gemein als einem Extremisten, auch wenn er sich auf Gott beruft.“

Inline Flex[Faktbox] RAMADAN UND BURUMA("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2007)

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