Wie weltanschaulich ist Wissen?

Bekommt Wikipedia Konkurrenz? Von Conservapedia kaum.
Bekommt Wikipedia Konkurrenz? Von Conservapedia kaum.(c) Harald Hofmeister
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Conservapedia ist eine Online-Enzyklopädie rechts-konservativer Amerikaner. Sie wartet mit skurrilen Thesen auf.

Dass Wissen Macht bedeutet, ist bekannt. Insofern ist es kein Wunder, als die Dominanz der Online-Enzyklopädie Wikipedia (nach einer US-Umfrage schlagen 36Prozent der Amerikaner in Wikipedia nach, wenn sie etwas wissen wollen) so manchem sauer aufstößt. Vor allem jenen, die mit dem in Wikipedia verbreiteten Wissen aus weltanschaulichen Gründen nicht viel anfangen können. Einer davon ist Andrew Schlafly, Sohn von Phyllis Schlafly, die als „First Lady“ der US-Rechtskonservativen gilt. Andrew ist aus ähnlichem Holz geschnitzt: In der konservativen Pseudo-Ärzte-Postille „Journal of American Physicians and Surgeons“ vertrat er etwa die Meinung, dass es einen Zusammenhang zwischen Abtreibung und Brustkrebs gibt – obwohl eine groß angelegte, in Lancet veröffentlichte Studie längst das Gegenteil besagte.

Nun, Schlafly hat sich an Wikipedia gestoßen und seine eigene Plattform gegründet: Conservapedia (www.conservapedia.com). Aufgemacht ist die konservative Online-Enzyklopädie ganz ähnlich wie sein Widerpart: etwa, was Schrift, Aufbau der Eintragungen, Suchfunktion, Menüs etc. betrifft. Auch gibt es eine Leiste mit den neuesten Nachrichten und eine mit historischen Ereignissen des Tages. Außerdem ein tägliches Bibel-Zitat. Sehr unterschiedlich sind freilich die Inhalte, wobei es eklatante Unterschiede im Ausmaß der Abweichung gibt. Gibt man etwa bei Conservapedia einen weltanschaulich neutralen Begriff wie „Shakespeare“ ein, muss man schon sehr genau lesen, um herauszufinden, wes Geistes Kind die Enzyklopädie ist. Zur Sprache seiner Stücke heißt es etwa, sie entstamme der gleichen Zeit wie die King-James-Bibel-Übersetzung. Außerdem ist in dem relativ kurzen, an Shakespeare-Zitaten nicht gerade reichen Eintrag ein frommer Satz aus Shakespeares Testament zitiert.

Promiskuitiv und psychisch krank

War Shakespeare homo- oder bisexuell? Diese Frage wird in Conservapedia, anders als in Wikipedia, nicht gestellt. Würde sie allein den Privatmann Shakespeare betreffen, wäre sie auch nicht weiter relevant. Allerdings werfen Shakespeares Sonette die Frage auf: Während sich 26 Sonette an eine Frau richten, richten sich 126 an einen jungen Mann. Der Schriftsteller C.S. Lewis meinte 1954 dazu: „Die Sonette klingen für eine normale männliche Freundschaft zu verliebt.“ Andere interpretieren sie als Ausdruck inniger Freundschaft, die nichts mit Sexualität zu tun hat.

Wie auch immer, Homosexualität ist in Conservapedia kein soziologischer, sondern ein (un-)moralischer Begriff. „Homosexualität ist die sexuelle Aktivität zwischen Menschen gleichen Geschlechts. Sexuelle Beziehungen zwischen Männern werden sowohl im Alten als auch im Neuen Testament verdammt. In der Bibel werden sie an vier Stellen explizit verboten.“ Was man erfährt, ist weitgehend negativ: Beziehungen Homosexueller hielten viel kürzer als die von Heterosexuellen, Homosexuelle seien promiskuitiv und viel stärker gefährdet, Syphilis, Gonorrhö, Aids oder Parasiten zu bekommen. Außerdem hätten sie ein substanziell größeres Risiko, psychisch krank zu werden. Theo Hug, Wissenschaftsforscher in Innsbruck: „Historisch gesehen gab es immer die Bestrebungen, Wissen weltanschaulich zu färben. Im Laufe der Zeit haben sich dann Objektivierungsbemühen entwickelt – insbesondere über die Entwicklung methodologischer Standards. Bis heute gibt es jedoch keine Reinheit.“ Wichtig sei daher, den „Rahmen“ zu erkennen. „Man sollte sich immer fragen: Von wem und in welchem Kontext wird ein Inhaltsangebot gemacht? Das selber herauszufinden kann aber sehr schwierig sein.“

Braucht Demokratie Kontrolle?

Fair findet er daher, dass bei Conservapedia die weltanschauliche Ausrichtung schon in der Präambel bekannt gegeben wird. Wikipedia, meint er, habe in den letzten zwei Jahren viel an Qualität gewonnen. „Natürlich gibt es dort auch interne Kämpfe, die für den Durchschnittsnutzer nicht durchschaubar sind. Zuletzt gab es so eine Kampagne beim Stichwort ,Mobile Learning‘. Aber es gibt eben auch hochprofessionelle Einträge. Ein polnischer Kollege, Informatiker, stellt seine Lehrveranstaltungsskripten direkt hinein.“ Erleichtert würde das „framing“, wenn Angaben zum Autor beim Eintrag dabeistünden. „Die Plattform ist aber so aufgebaut, dass das nicht funktioniert.“

DIE ABSURDESTEN EINTRÄGE

Abtreibung: „Die überwiegende Mehrheit wissenschaftlicher Studien hat ergeben, dass Abtreibung die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs erhöht.“

Känguru: „Die heutigen Kängurus sind Nachkommen eines Paares der Arche Noah. Nach der großen Flut wanderten sie nach Australien. Umstritten ist, ob diese Wanderung über Land stattfand, als es während der Eiszeit niedrigere Meeresspiegel gab, oder ob sie auf Landmassen dorthin getrieben wurden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2007)

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