Ökonomie der Sterbehilfe

Theater. "Der moderne Tod": Die Euthanasie-Utopie des Schweden Wijkmark aus dem Jahr 1978 scheint bei diesem Hamburger Gastspiel bedrohlich wirklichkeitsnah.

Das Skandalon wurde mitten im Stück deutlich, als es im Hintergrund der Halle G des Museumsquartiers eine ganze Leinwand füllte, aber da war man nach so viel Redeschwall über schöneres Sterben, über Menschenwert und Gesellschaftswert längst in rhetorische Fallen gelaufen. Eine Schauspielerin (Hedi Kriegeskotte) im Drama „Der moderne Tod“ hielt werbend Schwarzweiß-Porträts eines Bildbandes in Richtung Publikum: alte Menschen, kleine Kinder. Und dann sah man diese Zeichen an der Wand in Großaufnahme: Sterbende, Tote.

Das hilflose Wesen mit den eingefallenen Augen und dem Sauerstoffschlauch in der Nase – es bleibt ein Bild aus dem Bereich der Tabus. Daran konnten auch die sechs Sprecher an ihren fahrbaren Rednerpulten nichts ändern, die 100 Minuten lang einer künftigen, doch bedrohlich nahe wirkenden Gesellschaft aufschwatzen wollten, wie vernünftig, ja wie sinnvoll es sei, dass sich die nutzlos gewordenen Alten – völlig freiwillig natürlich – einem Euthanasie-Programm unterwerfen. Glatt ist die Sprache und lockend, Redekunst von Politikern, Versicherungsmanagern, Spitalsverwaltern, – in das anonyme Ambiente eines Hotel-Seminarraumes (Bühne: Otto Kukla) passen sie perfekt. Der Text von Carl-Henning Wijkmark, 1978 veröffentlicht (übersetzt von Hildegard Bergfeld), trifft den Ton der Technokraten noch immer genau, die den Tod einfordern.

„Es muss eine rationale Auswahl getroffen werden“, wenn es darum gehe, wer die begrenzten Mittel lebensrettender Medizin erhalte, sagt einer (Marco Albrecht), der sich zuvor als Gorilla verkleidet hatte. Er klingt recht schrill. Regisseurin Crescentia Dünßer hat den Abend raffiniert gebaut: Erst wird man mit klassischer Musik eingelullt, wenn die „notwendigen Fragen des letzten Lebensabschnittes“ angepriesen werden wie ein lukratives Aktiendepot, aber bald schon schimmert Aggression durch: Gelegentliche Tritte gegen die Wand, die Redner fahren einander auf ihren Podien ins Eck.

Man lasse sich nicht täuschen, die Sachlichkeit ist nur Dekoration: „Wir brauchen schnell mehr Tote, um es ganz brutal zu sagen“, meint der härteste Sprecher (Michael Prelle). Eine andere Diskutantin (Helene Grass) stellt uns vor das Dilemma: „Ist ein Monat Leben für unseren Großvater gerecht, wenn für die gleichen Kosten zehn Kindern der Dritten Welt ein ganzes Leben ermöglicht wird?“ Wir befinden uns in einer Phase der Relativierung: „Unsere Ethik darf nicht starr, sie muss dynamisch und flexibel sein“, sagt jener Vortragende (Tim Grobe), der den Forscher Melinek als Maidanek bezeichnet, wie das Nazi-Konzentrationslager.

Nur eine (Marlen Diekhoff), die dem Publikum andeutet zu verschwinden, ehe es zu spät ist, hat Vorbehalte gegen Euthanasie, verteidigt das Lebensrecht behinderter Kinder mit der Bergpredigt: „Denn ihrer ist das Himmelreich.“ Da steht bereits ein Krankenbett auf der Bühne, ein Alter hat die Bühne betreten. Er schweigt. Das Publikum, das über einen hellen Gang ins Theater geführt wurde, darf auf der Videowand beobachten, wie es zuvor auf den Einlass wartete – im Licht am Ende eines Tunnels.

WIENER FESTWOCHEN

„Der moderne Tod. Vom Ende der Humanität“. Carl-Henning Wijkmarks Text wurde von Crescentia Dünßer inszeniert.

Aufführung des Deutschen Schauspielhauses Hamburg (Uraufführung am 12. Jänner 2006). Museumsquartier Halle G. Bis 12. Mai, 20:30 Uhr. www.festwochen.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2007)

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