„Zur Aktivität des Blicks verführen“

AP (Jens Meyer)
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Documenta-Chef Roger M. Buergel über seine Antwort auf die Pisa-Studie.

Die Presse: Jetzt ist das Geheimnis um die Documenta-Teilnahme des Starkochs Ferran Adrià also gelüftet: Er wird nicht etwa die Kantine betreiben, sondern Sie haben einfach sein immer überbuchtes spanisches Restaurant „El Bulli“ zum Documenta-Standort ernannt und werden jeden Tag zwei Leute bestimmen, die dort essen dürfen. Was muss man tun, um eine Einladung zu bekommen?

Roger M. Buergel: (lacht) Mir ist überhaupt nicht klar, woher diese Gastronomie-Euphorie kommt, aber sie ist universal. Ich habe nicht gewusst, was ich mir mit Ferrans Einladung einbrocke. Nach meiner Ernennung fand ich es erst einmal wichtig, unidentifizierbar, in kein Eck gestellt zu werden. Und natürlich wusste ich, dass es in Spanien als Provokation gesehen werden musste. Das hatte mit meiner Empörung über den schlechten Stand der Kunstdiskussion in den romanischen Ländern zu tun.

Sie nennen Ihre Entscheidung, wer im „El Bulli“ essen darf, „kuratorische Willkür“. Spielte diese auch mit, als Sie Ihre ursprünglichen Documenta-Leitfragen – ist die Moderne unsere Antike, das bloße Leben und Bildung – hinter sich ließen, um sich letztendlich der Globalisierung der Formen zu widmen?

Buergel: Natürlich könnte ich jetzt durch die Documenta auch eine Themenführung zum „bloßen Leben“ machen – aber das könnte man auch in der Kapuzinergruft. Am Anfang steckt man immer Felder ab. Ich habe versucht, mir Fragen auszudenken, die sich universalisieren lassen. Die Frage der Moderne spielt in Europa ebenso eine Rolle wie in Russland, Asien oder im arabischen Raum. Dasselbe gilt für Bildung wie auch das Leben. Die Schwierigkeit ist, dieses Allgemein-Assoziative scharfzumachen.


Was sollen die Besucher Ihrer Meinung nach von der Documenta mitnehmen?

Buergel: Ich habe mich vorher eigentlich immer in kunstszene-internen Kreisen bewegt. Sobald man da einen Begriff fallen ließ, wussten alle, was gemeint ist. Mir war aber klar, dass die Documenta eine Ausstellung für Laien wird. Das habe ich sehr ernst genommen. Als ich in Hannover für meine „Gouvernementalitäts“-Ausstellung, weil das Budget so knapp war, selber den Aufpasser machen musste und mit den Besuchern redete, ist mir zum ersten Mal aufgefallen, was alles nicht gewusst wird. Das beginnt schon bei Manet. Man muss also wirklich bei der Erfindung des Rades anfangen und sehr vielnachlegen.

Kann eine Großausstellung diesen Aufholbedarf erfüllen? Wäre die Documenta somit Ihre Antwort auf die Pisa-Studie?

Buergel: Ja und nein. Bei der Documenta kann man leicht in die Falle tappen, über das Format – die schiere Größe – Dinge lösen zu wollen. Was man aber sehr wohl tun kann, ist exemplarisch zu arbeiten. Mit Schülern zum Beispiel. Du kannst nicht mit fünf Millionen Schülern die Welt retten, aber du kannst vielleicht 30 mitnehmen.

Ist die von Ihnen so betonte ästhetische Erfahrung, die „schöne“ Ausstellung, eine Art Einstiegsdroge dazu? Wie definieren Sie eigentlich Schönheit?

Buergel: Ganz einfach und volkstümlich. Das liegt im Auge des Betrachters. Ich glaube nicht, dass es Dinge gibt, die von Natur aus schön sind. Das ist eine Aktivität, etwas, das man Dingen verleiht. Man kann Leute in einer Weise anschauen, dass Sie schön werden oder so, dass sie hässlich und unauffällig bleiben. Was ich interessant finde, ist, die Leute dazu zu verführen, diese Aktivität auszuüben. Das ist eine Aktivität des Blicks. Und das kann man ausstellen.

Bei Ihrer Künstler-Auswahl fällt auf, dass Sie auf die Stars weitgehend verzichtet haben. Ist das eine Antwort auf einen immer dominanter werdenden Kunstmarkt?

Buergel: Nein, der Kunstmarkt ist heterogen. Es gibt wahnsinnig gute und kultivierte Galeristen und wahnsinnig dumme. Das ist also komplizierter. Ich hatte aber schon eine gewisse Lust, Sachen nachzutragen, von denen ich denke, dass sie gezeigt werden sollen. Gerade osteuropäische Kunst war bisher ein Stiefkind der Documenta.

Allerdings waren es Sie, der gesagt hat, Sie möchten es nicht dem Markt überlassen, den Kunstkanon zu formen.

Buergel: Ich habe ein Problem damit, wenn Leute über Rothko nur mehr sagen können, was er kostet. Der Begriff des Erhabenen ist in Richtung Geldwert gewandert. Das hat auch mit Klassen zu tun – reiche Schichten aus vormaligen Peripherien, die anfangen, eine globale Öffentlichkeit entlang von Kunstinstituten zu bilden. Wenn früher die bürgerlichen Öffentlichkeiten in den Kunstvereinen in Freiburg und Frankfurt herausgebildet wurden, dann passiert dasselbe heute in Miami, Abu Dhabi oder Venedig. Die Idee der Bildung ist in diesem Zusammenhang ein neutraler Grund, auf dem man sich verständigen kann.

Von 100 Künstlern sind erfreulicherweise immerhin fünf Österreicher. Herausragend aber ist die Präsentation von Gerwald Rockenschaub, dessen Arbeiten in der ganzen Ausstellung wiederkehren – fast wie ein Puffer zwischen den Blöcken.

Buergel: Ich finde, dass Rockenschaub so gezeigt werden muss. Das kam für uns auch einer methodischen Entscheidung gleich: Dass man wegkommt von diesem Ein-Künstler-Ein-Werk-Prinzip und die Möglichkeit hat, sich in eine Arbeitsweise einzudenken, mehrere Aspekte zu zeigen. Rockenschaubs frühe Arbeiten aus den 80er-Jahren etwa, wo man am Anfang nicht weiß, ob die jetzt aus Afrika kommen.

Stimmt es, dass Sie genug von der Arbeit mit zeitgenössischen Künstlern haben und alte und angewandte Kunst Sie jetzt mehr interessieren würden? Ist die Documenta Ihr letzter Auftritt auf dem Feld der Gegenwartskunst?

Buergel: Kann gut sein. Die Frage ist ja immer auch: Wie geht es nach der Documenta weiter? Wird man Waffenhändler oder mache ich die Prag-Biennale? Aber das bin ich nicht. Ich fand meinen Lebensweg im Künstlerischen eigentlich ganz elegant. Ich möchte mir jetzt dann noch einmal so etwas wie einen Neuanfang abverlangen.

Werden Sie nach Wien zurückkehren?

Buergel: Die Wohnung im 16.Bezirk haben wir behalten, alles andere ist noch offen.

ZUR PERSON.

Roger M. Buergel (*1962) wurde 2003 zum Leiter der Documenta bestellt, seine Frau Ruth Noack, mit der er meist im Team arbeitete, ernannte er zur Kuratorin. Sie lernten sich in Wien beim Studium kennen. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2007)

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