"Ich habe den Tod akzeptiert": George Tabori ist gestorben

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mit Entsetzen Scherz treiben: George Tabori, Autor, Regisseur, der die Schauspieler liebte, ein Mann mit einer großen luftigen weltläufigen Fantasie ist 93-jährig in Berlin gestorben.

Das Theater ist nicht nur eine moralische Anstalt, sondern auch eine der Legenden. Keiner verkörperte diesen Aspekt besser als George Tabori. Mit seinen grauen Haaren, seinem nachdenklichen Blick, seinen zögernden Sätzen, die trotzdem nach Verkündigungen ex cathedra klangen, schuf er eine Aura um sich, die über dem Wie das Was oft völlig vergessen ließ. Darum ist es erfrischend, Gundula Ohngemachs Tabori-Buch aus der Fischer-Reihe "Regie im Theater" zu lesen, in dem neben reichlich Preis und Ehr auch manch kritische Aussagen über Tabori zu finden sind. So knurrt der alte Münchner Schauspiel-Recke Thomas Holtzmann, Tabori habe diskutieren lassen statt zu inszenieren, die Schauspieler hätten alles alleine machen müssen bei Becketts "Warten auf Godot"; und Marietta Eggmann, die in den Siebzigern in Taboris Bremer Theaterlabor spielte, nennt den Regisseur "den größten Lügner von Pest".

Das Fabulieren Taboris hatte tatsächlich etwas Wunderliches und Wunderbares. Von seinen Wiener Inszenierungen bleiben ewig in Erinnerung: "Goldberg Variationen", "Mein Kampf" und ganz besonders die Sternstunde "Othello" mit Gert Voss und Ignaz Kirchner. Taboris Gabe, mit Entsetzen Scherz zu treiben, machte sich vor allem in seinen eigenen Stücken bemerkbar, etwa "Kannibalen" über Überlebende des Holocaust. Im Akademietheater waren u. a. der jüdische Western "Weisman und Rotgesicht" oder der Thriller "Requiem für einen Spion" zu sehen (mit und für Voss).

Drehbücher für Hitchcock, Peymanns Burgtheater

Tabori wurde 1914 in Budapest geboren. Sein Leben ist ein Roman, teils tragisch, teils skurril wie seine schriftstellerischen Werke. Im berühmten Berliner Hotel Adlon begann er eine Lehre, denn er sollte Hotelier werden. Der II. Weltkrieg machte alle Pläne zunichte. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 floh Tabori nach London, wo sein älterer Bruder Paul lebte. Der Vater und andere Familienangehörige wurden im KZ ermordet. Seine Mutter entkam der Deportation durch einen Zufall. In "My Mothers Courage" hat er ihr ein berührendes Denkmal gesetzt. Tabori lebte in 17 Ländern, darunter 20 Jahre in Amerika.

Im Krieg war er Auslandskorrespondent in Sofia und Istanbul, ferner Offizier des Nachrichtendienstes der britischen Armee im Nahen Osten. In den USA schrieb er Drehbücher für Hitchcock, Joseph Losey, übersetzte Werke von Brecht, Max Frisch und arbeitete im legendären Actors Studio von Lee Strasberg, bei dem auch Marilyn Monroe ihre Schauspielkünste zu verbessern trachtete. In den Sechzigern kam Tabori wieder nach Europa, zunächst nach London, dann nach Deutschland. Nach dem Bremer Theaterlabor übernahm er Hans Gratzers Schauspielhaus, das er in von 1987 bis 1990 unter dem Namen "Der Kreis" führte, bevor er an Claus Peymanns Burgtheater wechselte. Mit diesem ging er nach Berlin, wo er seither lebte und inszenierte.

Amerikanische Mythen, europäische Zeitgeschichte

Der Abschied von Wien fiel ihm schwer. Manche sagen, er hatte hier seine große Zeit. Und tatsächlich, man erinnert sich gerne, nicht nur an die künstlerischen Highlights und an ihn selbst, den Journalisten-Sohn, der sich immer die Zeit nahm aus Interviews große Erzählungen zu machen, sondern auch an die bunte Mischung im Theater in der Porzellangasse: Für die damals Jüngeren bedeutete Taboris Bühne praktische Vergangenheitsbewältigung ohne das Krampfhafte, welches dieses Thema damals in der offiziellen politischen Diskussion hatte (1988 wurde unter gehörigem allgemeinem Donner Thomas Bernhards "Heldenplatz" im Burgtheater uraufgeführt). In Taboris "Kreis" wurde man unterrichtet und nicht indoktriniert, erschüttert, nicht überschüttet, wenn etwa an einem Abend die Kinder der Täter (Peter Sichrovskys "Schuldig geboren") und die Opfer ("Kannibalen") zu Wort kamen.

Man konnte herrlichen Eugen O'Neill sehen, die Säufer-Saga "Der Eismann kommt", bizarres Psychodrama nach dem Gestalt-Therapeuten Fritz S. Perls, der Taboris Arbeitsweise geprägt hatte, Hilmar Thate und Angelica Domröse in Gaston Salvatores "Stalin" sowie Harald Muellers Endzeit-Stück "Totenfloß". Fragmentarisch, verträumt, sinnlich: Taboris Shakespeare-Collage "Verliebte & Verrückte". Bei den Festwochen inszenierte er "Hamlet" mit seiner Frau Ursula Höpfner in der Titelrolle. Natürlich kann man einwenden, das vieles, was Tabori in Wien präsentierte, eine Art Recycling früherer Erfolge war.

»Was ich immer erzählen muss, immer sagen muss: dass ich keine Heimat habe, dass ich ein Fremder bin, und das meine ich nicht pathetisch, sondern als gute Sache. Weil ein Schriftsteller, nach meinem Geschmack, muss ein Fremder sein.«

George Tabori

Den Theater-Besuchern, die ja nicht unbedingt nach London oder Berlin reisen, war das egal, ebenso der mangelnde wirtschaftliche Erfolg des "Kreis". Auf Taboris fliegendem Teppich, gewebt aus amerikanischen Mythen, europäischer Zeitgeschichte, Freudscher Analyse und britischem Humor ließ sich trefflich reisen. Dass er mit seiner Inszenierung von Franz Schmidts "Buch mit sieben Siegeln", immerhin für die Festspiele, wegen Blasphemie aus der Salzburger Kollegienkirche hinaus flog, passte bestens ins Bild eines Mannes, der ohne Maulheldentum und keineswegs immer szenisch souverän, aber eben trotzdem stilsicher, den Nerv der Zeit und seines Publikums traf.

"Was ich immer erzählen muss, immer sagen muss: Dass ich keine Heimat habe, dass ich ein Fremder bin, und das meine ich nicht pathetisch, sondern als gute Sache. Weil ein Schriftsteller, nach meinem Geschmack, ein Fremder sein muss," sagte Tabori einmal über sein meist keineswegs freiwilliges Wanderleben. Viermal war der große Theaterliebhaber - der so eitel war, dass er sich noch in späten Jahren nur ohne Brille fotografieren ließ, weil da seine sprechenden Augen besser zur Geltung kamen - verheiratet, "was für mein Alter nicht besonders viel ist", wie er in seinem typischen Humor meinte. In Berlin, wo Tabori seit 1999 lebte, inszenierte er u. a. Lessings "Die Juden", die auch in Wien zu sehen waren, und Brechts "Antigone".

Über den Tod sagte er 2006 in einem "Presse"-Interview: "Die Angst davor, dass mir etwas Schlimmes passieren kann, hat mich nie besonders bewegt. Es ist mir nie etwas passiert. Ich habe Glück gehabt. Ich habe nie auf mich acht gegeben. Jetzt, wo ich ziemlich alt bin, habe ich den Tod seit einigen Jahren akzeptiert. Es ist nicht mehr lange hin." Am 23. Juli ist Tabori 93-jährig in Berlin gestorben.

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