Innsbrucker Festwochen: Die dunklen Seiten der Bigamie

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Innsbrucker Festwochen. Eröffnung mit Telemanns "Der geduldige Sokrates".

„Ihr Männer, lernet doch beizeit geduldig sein!“ Mehrmals im Verlauf des ausgedehnten Opernabends richtet der Philosoph diese Mahnung an das Publikum und wohl auch an sich selbst. Immer wieder muss er den – zuweilen handgreiflichen – Streit zwischen seinen beiden Ehefrauen Xanthippe und Amitta schlichten, die ihm ein (fiktives) Gesetz Athens aufgezwungen hat. Auf geistvolle Weise spiegelt sich ihre Rivalität auf der amourösen Ebene wider: Zwei Prinzessinnen lieben denselbenMann und werden hoffnungslos von einem anderen geliebt. Den dritten Handlungsstrang bilden Sokrates und seine Schüler, von denen einer, Pitho, die Rolle der „Lustigen Person“ übernimmt. Klar, dass die Weisheit des Philosophen zuletzt das „lieto fine“ garantiert.

Georg Philipp Telemanns „Geduldiger Sokrates“ ist ein herausragendes Beispiel für die noch immer zu wenig bekannte Oper des deutschen Barock. Ihr Zentrum war zwischen 1678 und 1738 das Opernhaus am Hamburger Gänsemarkt mit 2000(!) Plätzen, Stolz der reichen Hansestadt, wenngleich von evangelisch-kirchlicher Seite immer wieder angefeindet. Seine bedeutendsten Komponisten waren Johann Mattheson, Reinhard Keiser, der junge Händel und – mit rund 30 Werken – Telemann selbst. Sein „Musikalisches Lust-Spiel“ mit dem Text des Hamburger Literaten Johann Ulrich von König hatte dort im Jänner 1721 Premiere; zugrunde lag dem ein Libretto des kaiserlichen Hofpoeten Niccolò Minato für Antonio Draghi (Prag 1680).

Auch hier sollte man den oft gemachten Fehler vermeiden, Telemanns Musik an seinen großen Zeitgenossen Bach und Händel zu messen. Ihre Stärken sind Anmut, Witz und lebhaft sprudelnde Erfindung; zusätzlich fesselt an diesem Werk der formale Reichtum der – noch nicht ins Korsett der spätbarocken Oper gezwängten Vokalsätze sowie die ungewöhnlich hohe Zahl der Ensembles: zwei Quintette, ein Terzett und nicht weniger als elf spritzige Duette zumeist der Damen. (Dass einige Arien italienisch gesungen werden, war eine Hamburger Spezialität.) Dazu gesellt sich noch eine Fülle an instrumentalen Effekten, an virtuosen Soli für Violine, Cello, Blockflöte, Oboe. Einziger Nachteil: die Länge einer ausgewachsenen Wagner-Oper...

Nur die Inszenierung störte ein wenig

Vielleicht hätte René Jacobs den Rotstift noch energischer ansetzen sollen, als er es ohnehin getan hatte. Aber an der Spitze der enorm musizierfreudigen Akademie für Alte Musik Berlin ließ er wie gewohnt alle klanglichen Feinheiten funkeln und sprühen, und wie stets hatte er seine Sänger sorgfältig gewählt und perfekt vorbereitet. Da war Marcos Fink ein typengerecht köstlicher Sokrates; Inga Kalna und Kristina Hansson wetteiferten lustvoll in den Streitduetten seiner beiden Gattinnen, anmutsvoll umschlangen einander die lieblichen Soprane der Prinzessinnen Sunhae Im und Birgitte Christensen. Von ihren beiden Anbetern übertraf der qualitätsvolle Countertenor des Matthias Rexroth den nur akzeptablen Tenor von Donát Havár deutlich. Daniel Jenz war ein lustiger Pitho in Lederhosen, Alexey Kudrya ein eitel-komischer Aristophanes, Maarten Koningsberger ein energischer Vater.

Wenn etwas den angenehmen Gesamteindruck trübte, dann (wieder einmal) die Inszene. Zwar hatte Nigel Lowery einen amüsanten Zwischenvorhang sowie einen großzügigen Bühnenraum mit hoch aufragenden Bücherregalen und zwei Küchen beigesteuert; passabel auch seine zwischen Antike, Barock und Gegenwart angesiedelten Kostüme. Aber die Regie (gemeinsam mit Amir Hosseinpour) überzeugte nur im „normalen“ Arrangement von Turbulenz oder Sentiment; nervtötend, ja unerträglich wirkte die den Sängern aufgezwungene rhythmische Gestik zwischen Tai Chi, Aerobic und Gehörlosensprache. Prompt mischten sich in den begeisterten Schlussbeifall deutliche Buhrufe für das Regieteam. Wie wird wohl das Publikum der (koproduzierenden) Deutschen Staatsoper Unter den Linden in Berlin reagieren?

INNSBRUCK: Was noch kommt

„Der geduldige Sokrates“ wird noch am 14. und 16.8. gespielt. Händels „Acis an Galatea“ folgt als zweite Barockoper am 25. und 26.8. Dazwischen widmen sich Konzerte an historischen Stätten Musik der Renaissance und des Barock; Telemanns Passion nach Brockes erklingt am 21.8. im Innsbrucker Congress.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2007)

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