Philosophicum Lech: All diese neuen Götter

(c) EPA
  • Drucken

Verschwindet mit Gott die Moral – oder umgekehrt? Verdienen alle Götter den gleichen Respekt? Sind wir wirklich so säkularisiert? Harte Fragen in Lech.

Das Philosophicum Lech verdankt sich intelligentem Design. Diese These wurde heuer abermals bestätigt, u.a. durch die Auswahl des Abendprogramms. Das „epos:quartett“ spielte Beethovens Streichquartett op.132, mit dem dritten Satz „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart“. Das passte gut zum Thema des Philosophicums „Nun sag', wie hast du's mit der Religion“ – direkt, und als literarische Anspielung: In Aldous Huxleys Roman „Kontrapunkt des Lebens“ will eine Gestalt die Existenz Gottes beweisen, indem sie dieses Stück auf einem Grammofon vorspielt.

Dass erhabene Musik (so wie erhabene Gedanken) nur in der Welt eines erhabenen Gottes entstehen könne, ist eine romantische, bis heute bei Bildungsbürgern verbreitete Idee, die natürlich kaum je ernsthaft als „ästhetischer Gottesbeweis“ gemeint war. Sie ist aber tief verwandt mit der Vorstellung, dass in einer Welt ohne Gott (d.h. ohne Gottesglauben) die Moral versiegen müsse, in den Worten von John Locke: „The taking away of god dissolves all.“

Winfried Schröder, Philosoph in Marburg, behauptete das Gegenteil: „Gerade wenn Gott, der Allmächtige existiert, ist nichts schlechthin unerlaubt, stehen alle moralischen Verbote zur Disposition.“

Unmoralisch: der Willkürgott

Denn ein allmächtiger persönlicher Gott steht über der Moral, kann alle ihre (= seine) Gebote nach Belieben ändern, bis hin zu Extremen, wie sie William von Ockham seziert hat, er kann sogar das Gebot des Gotteshasses erlassen. Glaube könne einen Mord in eine heilige Handlung verkehren, schrieb Sören Kierkegaard in „Furcht und Zittern“ über die Opferung Isaaks. Kant dagegen ließ Abraham antworten: „Dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott seist, davon bin ich nicht gewiss und kann es auch nicht werden.“

Vielleicht ist der Horror eines unmoralischen „Willkürgottes“ ein Grund dafür, dass in allen Offenbarungsreligionen die göttliche Offenbarung bereits offiziell verstummt ist. Das impliziert zweierlei: Erstens bleibt (nur) die Interpretation der alten Offenbarungen. Auch im Islam solle diese auf historisch-kritische Weise geschehen: Diese Aussage von Ednan Aslan, der immerhin an der Uni Wien islamische Religionspädagogik lehrt, war unter den erfreulichsten Eindrücken des Philosophicums. (Das, inklusive aller atheistischen Ausführungen, in der – von Sonnenlicht durchfluteten – katholischen Kirche von Lech stattfand: ein schöner Beleg dafür, wie tolerant diese Religion sein kann.)

Flexibel: die Milieugötter

Zweitens aber: Wer partout neue Offenbarungen hinzufügen will, muss eine neue Religion gründen. Das geschehe gar nicht so selten, erklärte Friedrich Wilhelm Graf (Theologe in München): Nur in Europa nehme die Religiosität ab, die US-Bürger seien in den letzten 200 Jahren stetig kirchentreuer geworden, freilich oft neuen Kirchen, etwa den „Pentacostals“ (Pfingstkirchen), die bei uns kaum bekannt sind.

Da hätte Graf also viel erzählen können, stattdessen entwarf er seine These von den „neuen Göttern“, in der er offenbar zweierlei vermengt: Erstens attestiert er jeder neuen christlichen Kirche großzügig einen neuen Gott; zweitens fasst er den Gottesbegriff weit, spricht von (gewiss wenig eifersüchtigen) „Wellnessgöttern, Spaßgöttern, Präambelgöttern“, vom Trend zum „Milieugott, der sich an alle Lebenswelten anpassen kann.“ Angesichts eines solchen Pantheons kann er gut behaupten: „Nicht alle Götter verdienen den gleichen Respekt.“ Und versuchen, Merkmale für die „Güte einer Religion“ zu definieren: Reflexivität, Selbstdistanzierung, Weltvertrauen etc., ein Katalog, der, wie Philosophicum-Leiter Konrad Paul Liessmann ironisch anmerkte, dem Katalog der protestantischen Kirche, der Graf angehört, durchaus nahe kommt.

Weniger dem „Physikgott“, dessen Konstruktion man Bruno Binggeli (Astronom in Basel) unterstellen könnte. Er zog die üblichen Register der spirituell interessierten Physik (inkl. frömmelnder C.G.Jung-Mythologie), verkündete das Ende der „materialistischen Naturwissenschaft“ durch Quantenmechanik & Relativitätstheorie, plädierte für „Rückgewinnung der Spiritualität“.

Nicht nur „Spiritualität“ – in der Abneigung gegen diesen Wischiwaschi-Begriff waren sich fast alle einig – ist auf dem freien Markt erhältlich. In Konsumtempel und Freizeitparadiese führte der brillante Vortrag der Wiener Kulturwissenschaftlerin Gabriele Sorgo. Sie leitet Einkaufen und Gottesdienst von der kultischen Urform des gemeinsamen Mahls ab, in dem geteilte Substanz für soziale Bindung sorgt. In Kaufentscheidungen sieht sie keine blinde Konsumwut, sondern Versuche der Sinnstiftung („mit dieser Milch rettest du die Bergbauern, mit diesem Urlaub deine Partnerschaft“). Doch „im Supermarkt wird nichts verschenkt und niemand geliebt“; und der Kirchgang ist kein Fest mehr, die Religion ist „abgemagert“. Sorgo greift den Marxschen Vergleich der christlichen Transsubstantiation mit der Verwandlung von Arbeit in Geld auf: Ihr fehle aber im „kapitalistischen Ritus“ die „Schlusszeremonie, die in den Alltag zurückführt“.

Modern: der Gott der Landnahme

Robert Menasse schließlich weigerte sich, den angeblichen Gegensatz zwischen moderner, säkularisierter Gesellschaft und Religion zu sehen. Nein, mit Hilfe der Religion könne der Kapitalismus „das Sakrale in seine eigenen Strukturen aufnehmen, um so selbst zur Religion zu werden“. Aus Faust II nimmt Menasse das Motiv für den entfesselten „Kapitalismus II“: die Landnahme. Die findet er auch im Empfang des Papstes durch Bundespräsident Fischer: „Da hat nicht ein Staatsmann ein Religionsoberhaupt empfangen, da hat eine weltliche Macht einen Ministranten besucht.“

Mephisto jedenfalls werde am Schluss, nach aller Landnahme, um Faustens Seele betrogen, resümierte Liessmann gegen Ende der Tagung. Hier hätte sich noch ein Bogen zu Beethoven op.132 schließen lassen: In Thomas Manns „Doktor Faustus“ hört Adrian Leverkühn dieses Streichquartett, nachdem er den ersten Schritt zu dem Pakt getan hat, der ihn Unerhörtes komponieren lassen soll. Dem Pakt mit dem Teufel.

PHILOSOPHICUM LECH 2008

„Geld. Was die Welt zusammenhält“ (Arbeitstitel) ist Thema beim 12. Philosophicum, von 18. bis 22.9.2008.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.