Pop

"Der innere Jihad, der einzig wahre"

Jazz-Philosoph. Yusef Lateef, Jahrgang 1920, live in Wien – und im "Presse"-Gespräch.

Brother hold the light. I want to go to the other side of the river...“ Inbrünstig sang der würdig aussehende Mann, der da in klobigen Schuhen, Arbeitshose und Kaftan in einem Durcheinander aus exotischen Blasinstrumenten auf der Bühne saß. Es war nicht das Ufer des Hades, das Yusef Lateef meinte. Nein, in dieser körnigen Stimme lag keine Sehnsucht nach einem besseren Jenseits. Und nein, Jazz darf man bei ihm auch nicht sagen.

„Jazz ist ein Wort, das erniedrigt“

„Jazz ist ein doppeldeutiger Begriff, ein erniedrigendes Wort“, erklärt er der „Presse“: „Was ich mache, nenne ich autophysiopsychische Musik. Es ist eine Musiktradition, die gleichermaßen auf die physische, mentale und spirituelle Ebene zielt. Nach der Sklavenbefreiung 1865 holten sich die Afroamerikaner ihre Instrumente von den Schrottplätzen. Sie durften nicht in die Schule gehen, also lehrten sie sich ihre Musikinstrumente selbst. Ma Rainey und Bessie Smith haben nie einen Gesangslehrer gehabt, dafür aber hatten sie eine intensive Romanze mit der Musik.“

Yusef Lateef wurde 1920 als William Emanuel Huddleston in Tennessee geboren. 1948, während seines Studiums (Komposition, Philosophie, Erziehungswissenschaft) konvertierte er zum „Ahmadivva Islam“ – eine im 19.Jahrhundert von Mirza Ghulam Ahmad in Pakistan gegründete, heute dort verbotene Schule – und nahm seinen muslimischen Namen an.

Einfluss von Martin Buber

Bis heute nennt er sich einen streng gläubigen Muslim und erklärt: „Der Islam strebt Erkenntnis an. Von dieser Suche darf man nie lassen. Der innere Jihad ist der einzig wahre Jihad. Da geht es darum, danach zu streben, ein besserer Mensch zu werden, sozial und moralisch.“

Das prägt auch seine Themen: Mitleid etwa, in seinem Stück „Poor Fishermen“. Oder die Erkenntnis, dass das Ich erst im Du zum Ich wird, wie es der in Wien geborene jüdische Existenzphilosoph Martin Buber formulierte. Dessen 1923 erschienenes Buch „Ich und Du“ war die Inspiration für „I and Thou“, eine von Lateefs neuesten Kompositionen, die sich auch im Porgy & Bess still, aber machtvoll in die Herzen vorarbeitete.

Bei seinem ersten Wiener Auftritt seit 1974(!) rührte schon der Beginn: Lateef, eingerahmt von den famosen französischen Belmondo Brothers, stimmte seinen Klassiker „The Golden Flute“ (1966) glühend an, so intensiv, dass dieser in über sechs Jahrzehnten Bühnenerfahrung gestählte Musiker von den eigenen Klängen zu Tränen gerührt wurde. „Wer etwas zur Musik beitragen will, muss es aus innerer Überzeugung tun“, erklärte er: „Leute wie Ben Webster, die rührten an den Herzen.“

Tenorsaxofonist Webster war wie Coleman Hawkins, Lester Young, Charlie Parker und John Coltrane unter den Vorbildern Lateefs – der durch Ernsthaftigkeit und Talent schnell auf Augenhöhe mit ihnen war. Und zu einem Großen des Spiritual Jazz wurde, stets auch interessiert an musikalischen Formen aus Japan, Indien und Afrika.

Bis heute hat er seinen Esprit nicht verloren. Mag er auch nicht mehr so viel Atem haben wie einst, für vitale Free-Jazz-Einsprengsel in seine berühmte Melodie „Morning“ oder eine aufwühlende Interpretation von „Sometimes I feel like a motherless child“ reichte es noch allemal. Lateef, weise lächelnd: „Ich will das schönste musikalische Statement machen, das möglich ist: die Schönheit im Herzen des Hörers zu wecken, die dort schon ruht.“

Und das geschah wohl auch.

Inline Flex[Faktbox] YUSEF LATEEF: Lehre, Preise("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2007)

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