Kaliforniens Norden: Der Berg ruft, wenn die Zeit reif ist

Mount Shasta, der zweithöchste Vulkan der USA, ist den Ureinwohnern heilig. Die Region Shasta Cascades weiß aber auch Clint Eastwood zu schätzen, er wohnt hier.

Greifvögel kreisen über den Bäumen. In der Ferne ragt der schneebedeckte Gipfel des Mount Lassen in den blauen Himmel. Ein paar Wolken breiten sich wie zerstäubter Puderzucker aus und legen sich als Tuch um die Schultern des Berges.

Weite Prärie in Grün und Gelb und Beige liegt dem rund 3000 Meter hohen Vulkan zu Füßen, der sich 1914 das letzte Mal regte. Links und rechts der schnurgeraden Hauptstraße, die von einer gelben Linie durchzogen bis zum Horizont reicht, zweigen kleine Wege ab, die romantische Namen tragen: Rock Creek Road oder Rising River Road. Rehe springen über den Asphalt.

On the road im Norden Kaliforniens. Abseits der Touristenströme, die den Süden des Westküstenstaates bevorzugen, ist die Region speziell bei den Städtern aus der San Francisco Bay Area im Sommer ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel. Zwei Stunden nur – und schon sind sie in der Stille von Shasta Cascade. Hier gibt es keine Superlative wie den Yosemiti Nationalpark, das Spielerparadies Las Vegas oder den nahe gelegenen Gran Canyon in Arizona.

So schön wie der Fujijama

Der Norden besticht durch unberührte Natur und seinen entspannten Charme. Die Landschaft ist geprägt von der Bergkette Cascade Range mit Vulkanen, Flüssen und dem Stausee Shasta Lake – einem Idealziel für Angler, Kanuten, Wildwasserfahrer, Wanderer, für Camping-Fans und Hausboot-Freaks. Und für Japaner. Weil der Berg Mount Shasta als heilig gilt und dem Fujijama so ähnlich sieht, ist er für viele Japaner auf ihren US-Kurztrips zur Pilgerstätte geworden.

In Redding, der größten Stadt und dem Wirtschaftszentrum des Nordens, startet unsere Rundtour, die vom Lassen National Park über die Wasserfälle McArthur-Burney Falls führt, dann zum heiligen Berg Mount Shasta und schließlich auf ein Hausboot auf dem Shasta Lake.

Je näher der Vulkan Mount Lassen rückt, desto dichter wird der Nadelwald, Felsen säumen die Straße und Schnee liegt hier auf 1000 Metern Höhe noch bis in den Mai. Auf dem Manzanita Lake im Nationalpark spiegelt sich Mount Lassen. Eine Angelschnur zieht Kreise ins Wasser, der Kanut seine Runde. Er hebt die Hand zum Gruß. Ob er schon was gefangen hat? „Die Fische beißen wie wild. Sie sind hungrig. Das Eis ist erst vor einigen Wochen geschmolzen“, verrät der Angler aus Arcata. Auf der nahen Rim Rock Ranch in Old Station, einer Mini-Ortschaft mit 55 Einwohnern, gibt's von Fischereizubehör, Getränken über Second-Hand-Bücher bis zur Unterkunft alles, was der Outdoor-Traveller so braucht.

Vorm Eingang hängt ein Zentimetermaß in Form eines Fisches. Die Verkäuferin fotografiert stolze Angler mit Beute. „Wenn sie nächstes Jahr wiederkommen, hängt ein Foto von ihnen an der Tür“, grinst sie. Der Fang wird gewogen und vermessen und „die Daten schreiben wir zum Foto dazu.“

Die Straße wölbt sich sanft. Kurze Zeit später zweigt eine Nebenstraße nach Cassel ab, wo es zu Clint Eastwoods Farm geht. Man möchte sich hinsetzen, tief durchatmen, Bilder und Eindrücke aufsaugen, am besten gleich bleiben und es Eastwood gleichtun, um täglich die Dosis Kraft und Ruhe tanken zu können, die wir spüren.

„Der Berg ruft dich“

Die Luft ist angenehm warm. Der Weg ist das Ziel auf dem Highway 89 – links und rechts weite Felder, Ranchland und die Bergkulisse. Auf einmal sprudelt der Hat Creek neben der Straße aus dem Boden, die Vegetation wird dichter. Blaue, rote und beige Holzhäuser lugen aus dem Wald, die typischen Briefkästen aus Blech stehen auf Holzpfählen am Straßenrand. Die McArthur-Burney Falls sind bald erreicht. Aus knapp 40 Metern Höhe stürzt das Wasser in die Tiefe und mündet im nahen See, auf dem Paddelboote ihre Spuren ziehen. Wir wandern durch den umliegenden Wald. Kleine schwarz-gelbe Schlangen schlängeln sich über die Wege, hoch über uns ziehen Raubvögel, vielleicht Weißkopfadler, durch die Lüfte.

Die Tour führt weiter nach Mount Shasta. Der mit 4317 Metern zweithöchste Vulkan der USA, der zur Kaskadenkette gehört, hüllt sich in Wolken und mag sich nicht zeigen, dabei strahlt der Himmel um ihn herum in tiefem Blau. Die Sonne beleuchtet dafür einen Güterzug, der durch den Ort rattert und kein Ende nimmt. Das gleichnamige Städtchen zu Füßen des Giganten wirkt auf Maler, Schriftsteller, Musiker, Alt-Hippies und New Ager seit langem wie ein Magnet im Norden Kaliforniens.

„Der Berg ruft dich, wenn die Zeit dafür reif ist“, erzählt Jessie. Sie führt einen esoterischen Buchladen und ist als Lokalpolitikerin tätig.

In den Läden der Hauptstraße mischt sich Magisches und Irdisches, von Duftölen über Schutzengel-Bücher bis zu Handys. Und zur Sonnenwende wundert sich keiner mehr über die New-Age-Anhänger, die auf den tiefer liegenden Lavafeldern des Berges ihre Zeremonien feiern, schließlich gilt er als spirituelles Zentrum.

UFO-Landeplätze

Unzählige Legenden und Mythen ranken sich um den schlummernden Vulkan, von mysteriösen Urbewohnern ist die Rede, von Siedlungen im Berginneren, von riesigen Energiefeldern und gar von UFO-Landeplätzen.

Wir bleiben weiter im Diesseits, auf der Autobahn I5, vorbei an chromglitzernden Trucks. Bis vor uns eine künstliche Schönheit erscheint, die es durchaus mit natürlicher aufnehmen kann: Shasta Lake. Durch den Bau des Shasta Staudamms 1938 entstand eine Seenlandschaft inmitten der Hügel und Wälder. Damals wurde die Stadt Kennett geflutet, heute liegt sie bis zu 152 Metern unter Wasser.

Hausboot-Urlaub macht süchtig

Hausboote hinterlassen ihre Spuren auf der glitzernden Wasseroberfläche. „Viele Familien mieten sich für ein paar Tage oder eine Woche so ein schwimmendes Zuhause. Das macht süchtig.“ Dave arbeitet seit vier Jahren in einem der zehn Häfen rund um die Seen. Er hilft Anfängern und weist in Steuerung und Technik ein. Bis zu 16 Leute können Urlaub machen auf einem Hausboot, das mit Küche, Betten, Sonnendeck und Dusche bestens ausgestattet ist.

In der Ferne treibt verirrt eine kleine Holzhütte auf dem Wasser. „Schwimmende Klos“, erklärt Dave, „für Wassersportler. Wenn die den ganzen Tag unterwegs sind, brauchen sie nicht extra an Land gehen.“ An Land ist ihm im letzten Jahr ein Bär über den Weg gelaufen. Sogar Berglöwen seien in den Hügeln rund um Shasta Lake gesichtet worden. Uns begegnet nur ein Gänsepaar, das ihre schnatternde Rasselbande auf das klare, blau-grüne Wasser hinausführt. Auf dem Rückweg nach Redding taucht die untergehende Sonne den weißen Gipfel des Mount Lassen in orange-rosa Licht. Tja – mystic mountains.

Inline Flex[Faktbox] CLINTS OWN COUNTRY("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2007)

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