Schwerelos im Champagner schweben

Kanaren. Teneriffa oben kennen wir - von unten, aus der Muränen- und Barrakuda-Perspektive, aber noch nicht.

G
länzende Kügelchen bah nen sich ihren Weg ans Licht. Hunderte, groß und klein, ziehen vorbei, schimmern wie Quecksilber. Die Gesichter in die kalten Sonnenstrahlen gereckt, folgen acht Augen gebannt dem Strom aus Kugeln, der sich am zwölf Meter entfernten Horizont auflöst, dort wo Himmel und Meer verschmelzen.

Auf dem Weg in die Tiefen des Atlantischen Ozeans vor der Küste Teneriffas ist das einzige Geräusch, das die vier Taucher hören, der eigene Atem. Fauchen, Zischen - es breitet sich im ganzen Kopf aus. Ein- und ausatmen. Ein- und ausatmen. Im immer gleichen Rhythmus ziehen die als Fische ausgerüsteten Menschen das Sauerstoffgemisch aus den Pressluftflaschen auf ihren Rücken. Luftbläschen perlen aus den Mundstücken und ziehen als tanzende, hakenschlagende Kügelchen in die Höhe.

"Es ist, als würde man in einem Champagnerglas schwimmen", beschreibt Andy McLeod, Tauchlehrer auf Teneriffa, das Gefühl, sich in dieser fremden Welt des Meeres zu bewegen. "Aber unter Wasser ist alles noch viel prickelnder." Andy ist mit seinem Kollegen Steve und der kleinen Tauchgruppe auf dem Weg zum täglichen Ausflug in die Unterwasserwelt Teneriffas.

Das motorisierte Schlauchboot springt über die Wellen. Haare fliegen im Fahrtwind, Finger krallen sich in den Seilen fest, Körper sitzen auf dem gewölbten, weichen Bootsrand, versuchen sich dem vorgegebenen Rhythmus anzupassen und kommen manchmal doch recht unsanft aus dem Takt.

"Mann über Bord hatten wir nur zweimal in der letzten Woche", scherzt Steve. Er brüllt, um den Außenbootmotor zu übertönen. Gekonnt locker steht er hinterm Steuer und rückt seine Sonnenbrille zurecht.

Vor Playa Paraíso stoppt Steve das Motorboot und wirft den Anker über Bord. Dieser Küstenabschnitt im Süden Teneriffas gilt als eines der schönsten Tauchgebiete der Kanarischen Inseln. Ein kleines Paradies unter Wasser. Eine fremde Welt mit einer ganz eigenen Architektur. Mit seinen langen Wellenfingern hat sich der Atlantik hier ein Stück der Küste erobert. Vom Meer verschlungen, liegt jetzt ein Steinplateau in zehn Meter Tiefe. Entlang einer Steilwand geht es weiter - bis auf 25 Meter ins dunkle nasse Element.

An Land wäre so etwas keine nennenswerte Erhebung - doch unter Wasser ist es bereits eine Reise in weit entfernte Welten. Denn um nicht dem berühmt-berüchtigten Tiefenrausch zu verfallen, sollte ein Mensch ohne Spezialausrüstung nur 40 Meter abtauchen, da er sonst dem Druck nicht standhalten kann und es zu der sogenannten Dekompressionskrankheit kommt - dem Tiefenrausch.

Während Steve zur Sicherheit an Bord bleibt, lässt sich Andy mit den Tauchschülern rücklings ins Wasser gleiten. Das Mundstück zwischen die Zähne geklemmt, die Taucherbrille zurechtgerückt, beginnt die Reise in die kanarische Unterwasserwelt vor Teneriffa. Zeigefinger und Daumen formen einen Kreis: "Alles okay!" Diese Geste ist eine der wichtigsten Mitteilungen der wortlosen Tauchersprache. Luftbläschen steigen auf, und die Taucher verschwinden von der Wasseroberfläche wie in einem Zeitloch.

Blau in allen Schattierungen, hell und dunkel, Türkis und Lila umhüllt sie. Weiches Wasser umfasst und eine Welt empfängt sie, deren Bewohner die merkwürdig blubbernden, in schwarz-bunte Anzüge gehüllten Besucher mit den riesigen Brillenaugen teils neugierig, teils skeptisch beäugen.

Ein Schwarm glitzernder Fische nähert sich der Gruppe, zerstreut sich wieder. Und da, weiter unten am Rand des Felsens, wühlt ein zwei Meter langer Rochen den Sand auf. Er ist die Gestalten bereits gewohnt, lässt sich von ihnen sogar manchmal den Bauch kraulen. Heute ist er anderweitig beschäftigt und verschwindet, als die Taucher sich nähern. Durch die wellenförmigen Bewegungen seines runden Körpers scheint es, als fliege er durch das Wasser davon.

Die Unterwasserwelt der Kanaren ist beeindruckend und überraschend vielfältig. Auch erinnert die submarine Landschaft daran, dass der höchste Berg Spaniens, der Pico del Teide, auf Teneriffa steht und ein Vulkan ist. Im Atlantik kamen die Lavaströme vor Jahrmillionen zu einem Halt und erstarrten zu spektakulären Formationen. Inmitten der meerumspülten Miniberge, Felsspalten und Höhlen leben Barrakudas, Oktopusse, Muränen, Brassen und Stachelrochen. Aber auch Engelshaie und Schmetterlingsrochen, Trompeten- und Papageienfische, Seespinnen und Seeigel, Stachelmakrelen und Thunfische, Schwarzkorallen und Anemonen haben sich vor Teneriffa niedergelassen, zwischen Wracks und versenkten U-Booten ist ihr Zuhause, unter Felsbögen oder in von Muränen bewachten Höhlen.

Unter Wasser verschwimmen Perspektiven, Farben lösen sich auf, Licht wird gebrochen von den Bewegungen der Wellen. "Für mich ist das wie Meditation. Es hat eine unglaublich beruhigende Wirkung." Andy genießt die Reisen in den Untergrund und vor allem den Moment, in dem er nochmal alleine in die fremde Atmosphäre eintauchen kann, um den Anker vom Boden zu lösen. Dann steht die Welt für einen Moment still. Nur die silbernen Kügelchen bahnen sich ihren Weg zum Horizont, der zwei Welten miteinander verbindet.

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