Wohnen: Ganz psychologisch

Wenn verspielte Fassaden wohlig wirken und Vorräume die Stimmung dämpfen.
Einblicke in die junge Zunft der Architekturpsychologie.

Was die Aura eines Gebäudes ausmacht? Eine Frage, die unterschiedlich beantwortet wird. Für Peter Noever, Direktor des Museums für Angewandte Kunst und Architektur-Aficionado, ist "sein", über 300 Jahre altes, Museum eine "in sich geschlossene hochinteressante Architektur, die noch heute bestens funktioniert." Für ihn ist die Aura das Ergebnis eines originären künstlerischen Schaffensprozesses, keinesfalls messbar und immer Neuland. Dieser Ansicht stemmt sich ein ganzer _ junger _ Berufsstand entgegen: die Architekturpsychologen. Sie untersuchen und lenken den Einfluss architektonischer Bedingungen auf die Psyche des Menschen. "Die Bandbreite unserer Betätigung reicht vom optimalen Standplatz für Geldautomaten über die Wahrung persönlicher Distanzzonen, etwa im Wartezimmer des Arztes, bis zur Wohnraumgestaltung" erzählt der Architekturpsychologe Ralf Zeuge. Sein Fachwissen bringt er auch bei der Gestaltung von Zahnarztpraxen ein,  gerade hier ist stressreduzierende Architektur vonnöten.

Erogene Zonen

Architekten haben immer schon mit psychologischem Gespür sinnliche Orte entwickelt, meint Gustav Peichl, Grandseigneur der österreichischen Architektur. "Jedes Haus hat erogene Zonen. Diese aufzuspüren, ist die schönste Aufgabe eines Architekten." Farbe, Form und Material sind die Verbündeten _ machen sie doch Räume heiter oder trist.
Als trist und unansprechend werden etwa Häuserfronten aus den 70er-Jahren empfunden. Das ergab zumindest eine Befragung im 5. Wiener Gemeindebezirk. Dort betreibt Louise Ruttner Architekturpsychologie innerhalb der "Lokalen Agenda 21" und durchleuchtet, wie Architektur Verhalten und Empfinden der Städter beeinflusst. Die verspielte Fassade eines Jahrhundertwendehauses etwa wirkt wohltuend auf das Auge der Margaretener Betrachter _ und auch am Immobilienmarkt erzielen Altbauten mit aufwendigen Stuckaturen einen höheren Preis als neue Bauten (wiewohl sie aus funktioneller Sicht teurer sind in Erhaltung und Renovierung). Die Probanden im 5. Bezirk wünschen sich das Äußere ihrer Häuser symmetrisch, aber verspielt. Dahinter steckt laut Ruttner ein einfaches Denkmuster: "Das Altbekannte erscheint vertraut und sympathisch." Aus ihrer Sicht fallen die Bedürfnisse der Nutzer bei der Errichtung von Wohnbauten allzu oft finanziellen Überlegungen zum Opfer _ dies zu durchbrechen, sei die Aufgabe als Architekturpsychologin.

Dass zufriedenere Mieter ein Wohnbauprojekt erfolgreicher machen, betont auch Immobilienentwicklerin Birgit Staffel, die zur Zeit mit dem Wohnhof Orasteig in Stammersdorf neue Wege geht: "Unkonventionelle Projekte brauchen mehr Erklärungsbedarf, doch letztlich werden psychologisch durchdachte Großimmobilien besser angenommen."
Die Architekturpsychologie schreibt fest, was die Realität definiert: den rasanten sozialen Wandel, der sich im persönlichen Wohnraum spiegelt. Frauen, zum Beispiel, sind längst nicht mehr in die Küchen verbannt, diese werden zu offenen Räumen, mausern sich zum Zentrum des Wohnens, zu Kommunikationsorten und Arbeitsplätzen für die ganze Familie.

"Das ist ganz klar, heute sind die Familien neu kombiniert", meint dazu Anna Popelka, eine jener Architektinnen, die sich durchaus auch als Psychologinnen verstehen _ oder besser noch: als "Seismografinnen des Lebenswandels". Wenn sie 270 Wohnungen in einem Haus plant, löst sie sich von Konzepten wie dem "dunklen Vorraumklassiker", der schon beim Betreten einer Wohnung die Stimmung dämpft. Oder jenem, dass alle Zimmer über einen Gangverteiler erreichbar sein müssen, und die Bewohner ungesehen vom Wohnungseingang in den Schlafraum huschen können. Popelka: "Für mich ist im geförderten Wohnbau sogar vorstellbar, dass sich Bewohner aus den verschiedensten Kulturen mit dem Handtuch um den Bauch im gemeinsamen Hamam begegnen."

Facts und Links

Architekturpsychologen sehen sich als Kooperationspartner und Berater für Architekten, Planer und Nutzer.
Einsatzgebiete: Vom Städtebau bis zum Coaching bei Wohnraum- und Bürogestaltung.
Methoden: Umfragen (quanti- und qualitativ, Experimente, Workshops, Diskussionen in Peer-Groups.

Web: www.architekturpsychologie.atwww.psysolution.de, www.louru.at, www.wohnhof-orasteig.at, www.ppag.at

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