Das Interesse Israels

Die gefährliche Funktionalisierung der Shoah – Replik auf „Die iranische Bedrohung“, Gastkommentar, von Stefan Grigat, 8. September.

John Mearsheimer und Kenneth Waltz haben in ihrem viel beachteten, wenn auch umstrittenen Buch „The Israel Lobby“ (2007) deutlich gemacht, wie sehr jüdische Interessenverbände, allen voran das American-Israel Public Affairs Commitee (AIPAC), die Außenpolitik der USA zu beeinflussen vermögen. Dieses Lager sei imstande, strategische Entscheidungen der USA im Nahen und Mittleren Osten zu erwirken, die Staats- und Sicherheitsinteressen Israels dienlich sind, aber zentrale Interessen der USA verletzten. Das nationale Interesse der USA werde dadurch in Geiselhaft der Interessen Israels genommen. Mearsheimer und Waltz sind – dies gilt es zu beachten – renommierte Experten an der Stanford University und an der University of Chicago und keine antisemitischen oder antiisraelischen Hassredner.

Hass, Zorn und militante Gegenwehr

Das von jüdischen Verbänden beharrlich vorgetragene Narrativ von der Bedrohung der israelischen staatlichen Existenz durch eine Koalition regionaler Widersacher, die den Schutz durch externe Mächte, allen voran der USA, erfordere, zählt zu den die Interessen der USA nachhaltigst verletzenden und beeinträchtigenden Faktoren. Die Bindung amerikanischer Nahostpolitik an die derart definierten Sicherheitsinteressen Israels sind ein wesentlicher Faktor für den Legitimitäts- und Ansehensverlust der USA im Nahen Osten. Die Behauptung der Koalition aus neokonservativen Intellektuellen, vieler jüdischer Interessenverbände und der evangelikalen Rechten in den USA, die islamische Welt hasse die USA wegen ihrer Werte, aber nicht wegen ihrer Politik, ist nicht nur, aber ganz besonders im Nahen Osten eine Fehlannahme; eine widersinnige Deutung, an der bisweilen gegen besseres Wissen festgehalten wird.

Auch wenn islamistische Irrwandler der arabischen Welt und darüber hinaus auch die Werte demokratisch-humanistischer Gesellschaften verachten mögen, so ist es doch vielmehr das konkrete politische und militärische Handeln eben dieser, allen voran der USA, die Hass, Zorn und militante Gegenwehr erzeugen. Wenn die USA aber durch ihre strategische Rolle im Nahen Osten einen immensen Legitimitätsverlust und die terroristische Bedrohung in Kauf nehmen, ist danach zu fragen, inwieweit dies durch vitale Interessen der USA zwingend notwendig sei. Mearsheimer und Waltz meinen dazu: „Die USA haben ein Terrorismusproblem, weil sie eng mit Israel verbündet sind, und nicht umgekehrt.“ Wenn also die strategische Ausrichtung der israelischen Politik gegenüber seinen Nachbarn – allen voran die ausbleibende Zusammenarbeit mit der palästinensischen Autonomiebehörde unter Abu Mazen, die fortgesetzte physische Drangsalierung der palästinensischen Bürger, die anhaltende Besetzung der 1967 besetzten Gebiete – wenn auch nicht der einzige, aber doch ein wesentlicher Quell der Sicherheitsgefährdung Israels ist, stellt sich dringlich die Frage, ob die USA ihre eigenen Interessen gefährden sollen, indem sie das fehlgeleitete israelische Verhalten in der Region unterstützen.

Existenzielle Bedrohung Israels?

Wenn dieser Gedanke zutreffen sollte, ist dann Grigat zu widersprechen, der in dieser Zeitung den Vorwurf erhob, die ausländischen Mächte würden das Schutzbedürfnis Israels eigenen Interessen unterordnen? Ist es denn wirklich zutreffend, dass Israel ausschließlich durch die Nachbarstaaten daran gehindert würde, eine stabilisierende regionale Paketlösung zu erreichen, wie eben Grigat behauptet? Ist denn wirklich ein neuer militärischer Feldzug Israels gegen den Libanon erforderlich, um seine militärische Abschreckungsfähigkeit in der Region glaubhaft wiederherzustellen?

Im Zentrum der Argumentation Grigats steht eine Behauptung, die in der philoisraelischen militanten Intellektuellengemeinde so stark vertreten ist, dass der Iran wegen seines vermutlich militärischen Nuklearprogrammes – dann, wenn politische und wirtschaftliche Sanktionen versagten – militärisch anzugreifen sei, um das Existenzrecht Israels zu verteidigen? Wäre das Existenzrecht Israels durch den Iran tatsächlich gefährdet, wäre Israel wie jeder andere Staat in einer derart existenziellen Bedrohung zu schützen. Besteht denn aber diese existenzielle Herausforderung tatsächlich?

Unbestritten ist die Rolle des Iran als destabilisierende Kraft in der Region – durch die militärische Unterstützung für einige schiitische Milizen im Irak, die indirekte Schwächung der libanesischen Regierung über die Mobilisierung der schiitischen Hisbollah, die islamistische Penetration des palästinensischen militanten Lagers um die sunnitische Hamas und nicht zuletzt durch die strategische Allianz mit Syrien. Unbestritten ist auch, dass dadurch israelische Sicherheitsinteressen beeinträchtig werden. Aber erwächst Israel dadurch tatsächlich eine existenzielle Bedrohung? Kann diese Bedrohung denn nicht durch die ohnehin betriebene militärische Abschreckung eingehegt und – noch wichtiger – eine von Israel zu betreibende umsichtige Lösung offener Konflikte mit seinen Nachbarn abgebaut werden?

Grigat muss angesichts dieser, für den Autor berechtigten Einwände, daher zum dämonisierendsten aller antiiranischen Argumente greifen – der angeblichen Erpressung Israels durch eine nukleare Bewaffnung, oder gar der Auslöschung Israels. Ist der Erwerb nuklearer Bewaffnung – der soweit irgend möglich durch politischen und wirtschaftlichen Druck aufgehalten werden soll, aber eben nicht durch militärische Aktionen – denn wirklich gleichbedeutend mit deren Einsatz? Ist das wirre Gefasel eines innenpolitisch ohnehin angeschlagenen iranischen Präsidenten denn wirklich der geeignete Maßstab um die strategische Linie der iranischen Außenpolitik abzuschätzen? Muss die iranische Führung tatsächlich als irrational und dem kollektiven Märtyrertod verhaftet angesehen werden? Aber selbst wenn dem so wäre – eine Einschätzung, die der Autor nicht teilt –, kann denn wirklich Zweifel daran bestehen, dass Israel mit seinem massiven Nukleararsenal diese Bedrohung nicht abschrecken könnte?

Die apokalyptischen Szenarien einer nuklearen Shoah gegen ein wehrloses Israel sind gefährliche Ratgeber für eine kluge westliche Politik gegenüber dem Iran. Wenn ein Begründungsfaktor für den militärischen Schlag gegen den Irak, der einer entsetzlichen Niederlage der USA entgegensteuert, der angeblich notwendige Schutz Israels war, soll denn dann der Ruf nach einem neuen Krieg, diesmal gegen den Iran, nicht aufschrecken?

Kriegsgeschrei darf Ratio nicht übertönen

Das Kriegsgeschrei, das mit der behaupteten drohenden existenziellen Vernichtung Israels, angestimmt wird, darf eine rationale Abwägung der tatsächlichen regionalen Sicherheitslage und der Interessen der USA in der Region nicht erneut übertönen. Der irakische Fehler darf nicht durch einen Irrtum in der Iran-Politik fortgesetzt werden, nur weil verzerrte, der tatsächlichen Lage widersprechende Losungen von der bevorstehenden Vernichtung Israels diese einmahnen.

Israel kann sich seiner eigenen Verantwortung für die regionale Stabilisierung nicht entziehen; der Ruf nach militärischer Härte durch die USA gegen eine nicht bestehende Gefährdung Israels durch den Iran darf nicht erhoben werden, nur weil die israelische Führung nicht fähig oder bereit ist, ihren Beitrag einer friedlichen Lösung der offenen Fragen in seiner Nachbarschaft zu leisten.

Dr. Gerhard Mangott ist Professor am Institut für Politikwissenschaften der Universität Innsbruck. www.gerhard-mangott.at


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2007)

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