Wenn nur sexuelle Lust übrig bleibt

Sexualkundeunterricht an den Schulen muss vor allem den allgemeinen pädagogischen Grundsätzen genügen.

Wir brauchen eine unverkrampfte, Fakten und ethische Einstellungen offen diskutierende Sexualpädagogik, die im Dienste der Jugend steht. Für den zur Debatte stehenden neuen Grundsatzerlass müssen dabei allerdings allgemeine pädagogische Grundsätze berücksichtigt werden.

Sexualpädagogik muss zwischen Elternhaus, schulischer und außerschulischer Sexualkunde unterscheiden. Der schulische Sexualkundeunterricht sollte vor allem informativ sein, darf nie die Schamgrenze überschreiten und sexuelle Selbsterfahrung zum Thema machen. Diese Unterscheidung wird derzeit auch unter Sexualpädagogen diskutiert.

Der Begriff „Sexualerziehung“ sollte nicht mehr verwendet werden. Die Schule hat einen allgemeinen erzieherischen Auftrag, nicht einen spezifischen. Man spricht auch nicht von „Politischer Erziehung“ sondern von „Politischer Bildung“.

Der Begriff „Sexualkundeunterricht“ würde eine gewisse Distanz zu den behandelten Themen zum Ausdruck bringen, während der Begriff „Sexualerziehung“ eine Grenzüberschreitung des schulischen Auftrags beinhalten kann.

Schulunterricht unterliegt generell dem Indoktrinations- und Manipulationsverbot. Daher können die „WHO-Standards zur Sexualaufklärung“ nicht wie vorgesehen Grundlage für den Sexualkundeunterricht sein. Sie vertreten nämlich eine reine Verhandlungsmoral in Sachen Sex, ohne übergeordnete sittliche Normen. Und sie haben die umstrittene Gendertheorie zur Grundlage.

Übrig bleibt die sexuelle Lust

Diese radikale Kulturtheorie relativiert die geschlechtliche und sexuelle Identität des Menschen in höchst fragwürdigem Ausmaß und leitet daraus eine „sexuelle Vielfalt“ als neues gesellschaftliches Leitbild ab. Für die Sexualpädagogik bedeutet dies, dass nur noch die sexuelle Lust als gemeinsamer Nenner dieser beliebigen Lebensformen übrig bleibt. Deren Vielfalt soll den Kindern ohne Bezug zur Verantwortung für verbindliche Beziehungen und Lebensziele oder für eine Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit, zu der immer auch die Fähigkeit zum Verzicht gehört, unterrichtet werden.

Hedonistisches Verständnis

Dass es sich bei der Sorge um die Folgen eines solchen hedonistischen Verständnisses von Sexualität für den Sexualkundeunterricht nicht um hysterische Panikmache handelt, zeigen mit staatlichen Mitteln geförderte sexualpädagogische Erzeugnisse in Österreich. In denen wird u. a. die binäre Geschlechterordnung parodiert, die einfache Familienstruktur von Vater, Mutter und Kindern als zu belächelnde Minderheit dargestellt oder werden Tipps für eine besonders lustvolle Masturbation gegeben (Literatur beim Verfasser). Das hat offensichtlich nichts mit seriöser Sexualaufklärung zu tun.

Der Staat verletzt seine Neutralität, wenn er den Schulunterricht mit einer bestimmten Weltanschauung unterlegt. Relativismus ist eine Weltanschauung und kann deshalb nicht zur Grundlage der Sexualkunde gemacht werden, ohne das Indoktrinationsverbot zu verletzen.

Zu diesem Verbot gehört positiv gewendet das Gebot der Kontroversität. Der alte Grundsatzerlass von 1990 spricht von der Vermittlung eines „Wertewissens“, das es den Schülern ermöglichen soll, sich eine eigene Meinung zu bilden. Für Kinder, die noch nicht fähig zum Diskurs sind, ist zu fragen, inwieweit die Schule den Auftrag hat, über eine an der Fruchtbarkeit orientierte Sexualaufklärung hinaus Inhalte zu vermitteln.

Wir brauchen also nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an Reflexion und Diskussion.

Dr. med. Mag. phil. Christian Spaemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Schalchen bei Mattighofen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2015)

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