Schottland – auf dem Weg zum eigenen Staat?

Die schottischen Nationalisten setzen auf das Nordsee-Öl und greifen nach der Unabhängigkeit von London.

Der Umgang miteinander war nicht immer der feinste. Jahrhundertelang führten die Schotten und die Engländer gegeneinander blutige Kriege, keine Grausamkeit blieb ausgespart. Als dann endlich ein Friedenspakt zwischen den verfeindeten Völkern geschlossen wurde, nannten die Schotten die Vereinbarung eine „Hochzeit mit einer Laus“. Ein sekkanter Parasit im Pelz, der sein Opfer quält und langsam aussaugt.

Nach 300-jähriger Verbindung, besiegelt durch den „Act of Union“ 1707, will die Schottische Nationalpartei Partei (SNP) nun den lästigen Partner England wieder loswerden. Das Vorhaben der Nationalisten, die Londoner Bevormundung endgültig abzuschütteln ist nicht neu. Nie zuvor aber war die Erfüllung des Traums eines freien, unabhängigen Schottlands so nahe und scheinbar so realistisch wie gerade jetzt. Die Umfragen sagen der SNP bei den schottischen Regionalwahlen am Donnerstag einen Erfolg voraus. Sollten die Nationalisten unter Alex Salmond wie prognostiziert stärkste Macht im Regionalparlament in Edinburgh werden, werden sie alles daran setzen, ihr wichtigstes Anliegen auch umzusetzen.

Die Abspaltung von England mag zwar gerade opportun sein und die eine oder andere Wählerstimme bringen. Aber ist die Schaffung von Mini-Staaten in einem zusammenwachsenden Europa überhaupt zeitgemäß, geschweige denn sinnvoll? Nationalisten-Chef Salmond wird die Frage beantworten müssen, wenn ihm nach der Wahl das kühle Highland-Lüfterl ins Gesicht blasen wird.

Salmond ist kein polternder Nationalist, der mit starken Sprüchen die Wähler mobilisieren will. Vielmehr ist er ein ruhiger Separatist, der sein Hauptanliegen eher mit der Zielstrebigkeit eines knallharten Geschäftsmannes angeht als in der bierseligen Atmosphäre schottischer Pubs. Die Unabhängigkeit soll nicht sofort durchgesetzt werden. Das Volk soll in einem Referendum erst gegen Ende der Legislaturperiode befragt werden.

Bis dahin will Salmond beweisen, dass er regieren und Schottland auch ohne saftige Finanzspritzen aus dem fernen London nach dem Vorbild skandinavischer Wohlfahrtsstaaten nach vorn katapultieren kann – frei nach dem Motto: Wir im Norden könnten ohne den englischen Klotz am Bein wirtschaftlich besser dastehen. Klingt doch alles ganz gut und eigentlich recht vernünftig für einen Politiker, der, nur um gewählt zu werden, das Blaue vom Himmel verspricht. Doch halt, da ziehen schon die ersten Regenwolken auf.

Neunzig Prozent der britischen Erdölvorkommen finden sich in den Gewässern um Schottland. Die Gewinne wandern in die Taschen der Zentralregierung in London, meckern die Schotten. Doch Westminster zahlt weit mehr, als mit dem Nordsee-Öl zu verdienen ist, in Form von Subventionen an die Partner im Norden, jammern die Engländer. Die Schotten seien zu „Subventions-Junkies“ geworden, die nun ihrerseits England aussaugen würden, damit Edinburgh seinen Bürgern gratis Schulbildung und Gesundheitsversorgung anbieten kann. Sicher ist jedenfalls: Nur auf Einnahmen aus dem Energiesektor zu setzen, kann keine langfristige Lösung sein, zumal die Ölquellen in absehbarer Zeit versiegen werden.

Wird die SNP stärkste Partei im Regionalparlament, dann nicht, weil ihr Wahlprogramm so bestechend ist, sondern weil man der Labour-Partei, die seit 50 Jahren keine Wahl mehr in Schottland verloren hat, einen Denkzettel verpassen will. Labour steht in ganz Großbritannien so schlecht da wie seit 20 Jahren nicht mehr. Da hilft es auch nichts, dass mit Gordon Brown schon bald ein 100-prozentiger Schotte an der Regierungsspitze des Vereinigten Königreichs stehen könnte. Verliert Labour in Schottland, dann wird es für Brown auf jeden Fall ungemütlich. Denn die Diskussion, ob wirklich er Tony Blair an der Regierungsspitze nachfolgen soll, wird damit neu entfacht – ganz abgesehen von der leidigen Debatte über eine Sezession Schottlands.

Ist letztere nicht ohnehin der sentimentale Traum einer stolzen Nation, die sich ungerecht behandelt fühlt? Und die mit einer ordentlichen Prise Ignoranz seitens der numerisch überlegenen Engländer gestraft worden ist und noch immer wird? „Devolution“, die Übertragung der Selbstregierung an Schottland, Nordirland und Wales, war als erste Konzession Englands an seine Regionen gedacht gewesen. Schottland hat dabei das größte Stück des Autonomie-Kuchens abbekommen. Das sollten die Schotten eigentlich genießen – und nicht weiter nach der Laus suchen.

Schotten kehren England den Rücken Seiten 1, 2


irene.zoech@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2007)

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