In der Mitte ist was los

Die hohe Kunst zeitgenössischer Politik besteht darin, Positionen aufzugeben, die man nie bezogen hatte.

Die Regie war für schwarze Verhältnisse nicht schlecht: Wilhelm Molterer, der, wenn es so etwas gibt, die fleischgewordene Unspektakularität darstellt, gönnte sich am Montag mit der Eingemeindung der „Perspektivengruppe“ in seinen größeren Plan zur Erringung der Kanzlerschaft einen zarten Hauch politischer trickyness. Und das kam so:

Die so genannten „Rebellen“ in der ÖVP, die als „Perspektivengruppe“ programmatische Bausteine für eine „jüngere“, „liberalere“, mithin also „urbanere“ Volkspartei zusammentrugen, hatten sich in der letzten Phase vor der Abschlusspräsentation, die für den Montagabend im Wiener Happel-Stadion angesetzt war, auf ernste inhaltliche Auseinandersetzungen eingestellt. Einige von ihnen bekamen in den Tagen vor dem großen Auftritt des Fähnleinführers Josef Pröll sogar das pfadfinderische Leuchten in den Augen. Jenes, das wir früher alle hatten, wenn wir uns, während wir in der Au oder am Klo unsere ersten selbstgedrehten Zigaretten aus Zeitungspapier, Brennnesseln und Kuhdreck angezündet hatten, wechselseitig versicherten: „Wenn die uns jetzt erwischen, schaut es nicht gut aus für uns.“

Beeindruckt und enttäuscht zugleich waren wir immer dann, wenn uns einer von „denen“, den Erwachsenen, Erziehern, Gruppenleitern nämlich, tatsächlich erwischte – und durch Großzügigkeit beschämte. Das war vor allem für die Aufrührer unter uns die Höchststrafe, denn unser zukünftiges Führungspotenzial, so glaubten wir fest, ließ sich direkt aus dem gegenwärtigen Ausmaß an Bedrohung und Strafe errechnen. Ein gütig-mitleidig-verständnisvoll getätschelter Revolutionsführer, dem öffentlich versichert wurde, wie wertvoll er und sein Wirken für das größere Ganze der Organisation sei, war schon immer eine ziemliche Niederlage.


Ungefähr so hat es am Montag Wilhelm Molterer mit Josef Pröll gemacht. Aus Prölls Umgebung war in der Schlussphase der Perspektivengruppe trotzig gestreut worden, dass der Umweltminister zwar keinesfalls den personellen, wohl aber den inhaltlichen Führungsanspruch erheben wolle, sollten seine Forderungen auf die Ablehnung des Partei-Establishments stoßen. Auch Prölls Ansage, er werde den Parteichef und Vizekanzler nicht im Vorhinein informieren, sondern mit dem Ergebnis des Reformdenkprozesses konfrontieren, diente in erster Linie dem Aufbau eines Konfliktszenarios, dessen Eskalationspotenzial als Äquivalent für das Potenzial des Perspektivenführers in einer allfälligen Auseinandersetzung um die Position des ÖVP-Spitzenkandidaten bei der Nationalratswahl 2010 interpretiert werden sollte.

Daraus ist nun nichts geworden. Wilhelm Molterer hatte die Frage nach der Kanzlerkandidatur vorsichtshalber schon am Samstag in Alpbach entschieden. Am Montag legte er Josef Pröll dann auch inhaltlich auf die Matte: Das seien nicht nur Vorschläge, erklärte er den versammelten Medien, sondern Umsetzungsaufträge, an die er sich gebunden fühle.

Servus, grüß Dich.


Besonders schwer wird Wilhelm Molterer sein asiatisches Manöver – nutze die Energie Deines Gegenübers, um ihn elegant vor Dir auf den Boden zu legen – nicht gefallen sein: außer der „eingetragenen Partnerschaft“ für homosexuelle Paare steht in dem Papier nichts, was an der gegenwärtigen Politik der ÖVP und ihres Vorsitzenden substanziell etwas ändern würde. Und was das Mehrheitswahlrecht betrifft, kann Molterer es locker riskieren, dafür zu sein, er weiß ja mit Sicherheit, dass alle anderen dagegen sind.

So sind nun also endlich alle in der wohligen politischen Mitte angekommen. Die ÖVP verabschiedet sich vom „neoliberalen“ Kurs der Ära Schüssel, was ihr angesichts der Tatsache, dass es einen solchen außerhalb der gegnerischen Rhetorik ohnehin nie gegeben hat, nicht besonders schwer fallen sollte. Die wirkliche Kunst des Politischen scheint ja inzwischen darin zu bestehen, besonders überzeugend Positionen aufzugeben, die man nie bezogen hatte. Das macht richtig Eindruck.

Der – zumindest rhetorische – Ruck in die Mitte ist angesichts der Gefühlslage des Wahlvolks zweifellos richtig. Denn in der Mitte ist richtig was los, dort werden Wahlen gewonnen, daran besteht kein Zweifel. Ebenso wenig Zweifel besteht daran, dass sich in einer solchen politischen Konstellation jede politische Entscheidung noch stärker auf die Person des Spitzenkandidaten zuspitzt. Aber daran haben die Strategen der ÖVP sicher schon gedacht.

ÖVP-Perspektivenprozess Seite 1 und 2


michael.fleischhacker@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2007)

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