Wenn Notenbanker Drogen dealen

Die große Finanzkrise ist nicht vorbei – sie hat noch nicht mal richtig begonnen.

In Wien ist Heroin bei den Dealern am Karlsplatz erhältlich, in New York hingegen wird das Zeug in der Chefetage der US-Notenbank („FED“) großzügig ausgegeben. Denn nichts anderes als frischer Stoff für einen Süchtigen war jene Zinssenkung, mit der Amerikas Währungshüter diese Woche für gute Laune bei den chronisch überschuldeten Haushalten, bei Aktionären, Zockern und Spekulanten sowie den all das finanzierenden Banken gesorgt hat. Anstatt die kreditsüchtigen amerikanischen Konsum- und Anlage-Junkies endlich auf eine schmerzhaften, aber dringend notwendigen Entzug zu setzen, spendierte das FED einfach einen kräftigen Schuss.

Ob mit dem billigen Geld freilich jene Rezession vermieden werden kann, die auf Amerika zukommt wie ein karibischer Hurricane, ist freilich höchst strittig; zu vermuten ist eher, dass der Beginn der unvermeidlichen Baisse bloß ein wenig verzögert wird (die dann um so heftiger ausfallen dürfte).

Denn irgendwann scheitert jeder Versuch, im Wege einer Voodoo-Ökonomie das „there-is-no-free-lunch“-Gesetz außer Kraft zu setzen. Man kann nicht reicher werden, indem man weniger arbeitet („Arbeitszeitverkürzung“), man kann nicht 11 Prozent Zinsen und die Sicherheit eines Sparbuchs haben (Affäre „Meinl“) – und man kann nicht, wie die USA, endlos lang über seine Verhältnisse leben, ohne am Ende zahlen zu müssen. (Psychoanalytisch interessant ist daran übrigens, dass auch hochintelligente Politiker, Journalisten und Investoren immer wieder glauben, derartiger Voodoo könne doch funktionieren).

Vieles spricht dafür, dass im Falle der USA der Preis diesmal in Form von Geldentwertung, also Inflation, bezahlt werden wird. Wenn der ehemalige FED-Boss Alan Greenspan prophezeit, in den kommende Jahren würden die US-Zinsen jenseits der zehn Prozent liegen, deutet er genau das an: einen massiven Wertverfall des Dollars, sowohl nach innen (Inflation) als auch nach außen (Wechselkurs- schon jetzt ist der Dollar in alter Währung kaum noch 10 Schilling wert).

Zu befürchten ist, dass sich auch der Euro dem langfristig nicht entziehen wird können: um jene Flaute zu mindern, die wegen eines dann ja superharten Euro (der Exporte wegen) entstünde, müsste wohl auch die EZB viel billiges Geld bereitstellen, was letztlich ebenso inflationäre Folgen hat. Politisch ist Inflation immer der einfachste Weg – im Vergleich zu den ökonomischen Alternativen höhere Arbeitslosigkeit oder massive Steuererhöhungen verursacht sie weniger Widerstand der Wähler.

Erklärbar ist das nur als Folge weitverbreiteten ökonomischen Analphabetentums. Denn nichts ist sozial ungerechter als Inflation. Während sie die Besitzer von Immobilien, von Fabriken oder von Goldbarren ungeschoren lässt, nimmt sie dem typischen kleinen Sparer unerbittlich einen großen Teil seines papierenen Vermögens weg.

Indem das FED den Junkies nun wieder Stoff verschafft, wird es den Beginn dieses ungemütlichen Prozesses der Enteignung breiter Massen ein wenig hinausschieben. Zu vermeiden wird der Entzug nicht sein, und er wird wohl ziemlich schmerzhaft werden.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.


christian-ortner@chello.at("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2007)

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