Spitzelklasse?

Achtung, jetzt im Namen der Sicherheit! Der Staat als bürokratische Krake.

Gewiss hat Karl Korinek übertrieben, als er wähnte, wir Österreicher „werden ähnlich stark überwacht wie seinerzeit die DDR-Bürger von der Stasi“. Doch die Warnung des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, dass im Zuge der Terror-Bekämpfung die Grenze zum Überwachungsstaat überschritten werden könne, kann ich gut verstehen. Sein demokratiepolitisches Empfinden ist auch abseits des aktuellen Themas nachzuvollziehen. Nicht wegen der Videokameras auf öffentlichen Plätzen. Auch mit richterlich gründlich geprüften Online-Durchsuchungen privater PCs habe ich keine Probleme. Aber viele andere Entwicklungen und Vorfälle im anschwellenden Bereich des Datensammelns sind es, die uns wachsam machen sollten.

Das Gefahrenpotential der e-card, mit dem „Gesundheitstelematikgesetz“ eingeführt, wurde nur von einigen, eher einsamen Ärzten erkannt. Die Gesundheitsministerin bekam dafür den Big Brother Award, aber auch das kümmerte die Österreicher wenig. Die „Elektronische Gesundheitsakte“ ELGA, die ab 2012 jedermanns Krankheiten zentral speichern wird und für Ärzte, Spitäler und Leistungsanbieter abrufbar sein soll, regt keinen auf. Die Weitergabe von Gesundheitsdaten an Privatversicherer kommt öfters vor, als im Versicherungsvertragsgesetz vorgesehen. Das ebenfalls medizinische Daten speichernde AMS (Arbeitsmarktservicegesetz) hat Diagnosen weitergegeben, an private Dienstleister. Das Melderegister Österreichs hat Daten sogar weiterverkauft! In der DDR gab es die persönliche Kennzahl, in Österreich gibt es seit 2003 ein Bildungsdokumentationsgesetz, das die Laufbahn (Noten, Betragen, Sport, Religionsunterricht?) jedes Schülers, verknüpft mit der Sozialversicherungsnummer, aufzeichnet und 60 Jahre lang speichert.

Welche Hirne denken sich das aus? Dienen sie nur dem Statistikgott? Mit all den herrlichen Möglichkeiten der Elektronik eröffnen sich unter dem Deckmantel der Modernität viele Wege, den Bürger zu einer Nummer zu machen, die erfasste Nummer aber auch allzeit entschlüsseln zu können. Natürlich sind all die Datensammler felsenfest davon überzeugt, dass unerwünschte Zugriffe einfach nicht möglich seien. Nie und nimmer! Dass chinesische Hacker das Pentagon-Computersystem infiltrierten, oder dass es in Österreich eine Spitzelaffäre gab, in der freiheitliche Politiker Daten aus Aktenordnern und Polizeicomputern zugeschoben bekamen – wird nicht wahrgenommen oder vergessen.

Lieber ist mir die hellscharfe Stasi-Warnung eines Karl Korinek als die Beruhigungen der Demokratiedumpfen, die sich aus all dem nichts machen. Wer nichts zu verbergen hat, dem wird nichts passieren, ist ein kurzes Argument. Ja, Intelligenz ist eben auch eine Frage der Phantasie.

Die Staats- und Verwaltungsreform wird nicht zustande kommen. Aber eine andere, eine totalitäre ist im Werden: die der lückenlosen Überwachung. Im Namen der Sparsamkeit, der Bequemlichkeit, jetzt der Sicherheit oder oft auch der sozialen Versorgung wird jedermann zentral erfasst und nie mehr ausgelassen. Der Staat mit seiner Bürokratie ist eine Krake. Auch hier muss politische Bildung ansetzen.

Erna Lackner ist Journalistin in Wien.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2007)

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