Geheimnis ist Errungenschaft

Diese Woche wird der Wiener Landtag die Einführung der Briefwahl beschließen.

Damit können jene, die am Wahltag nicht in Wien sind – und das sind in unserer mobilen Gesellschaft immer mehr – rechtzeitig vor der Wahl eine Wahlkarte beantragen und dann den ausgefüllten Wahlzettel per Post der Behörde schicken. Auf den ersten Blick ist das ein klarer Fortschritt.

Aber: Damit wird auf der anderen Seite eine der Errungenschaften von Wahlen in freien Demokratien, jene des geheimen Wahlrechts unterlaufen. Es macht eben einen unglaublichen Unterschied, ob ich allein in der Wahlzelle bin, um dort ohne jeden Rechtfertigungsdruck jene Partei anzukreuzen, die ich wählen will. Oder ob, quasi am Familien- oder Stammtisch, gewählt wird – nach dem Motto: „Jetzt lasst uns wählen – gemeinsam! Denn wer hat schon etwas zu verstecken!“ Es gibt, ohne Zweifel, nach wie vor große Abhängigkeiten; gerade in Familien. Auch deswegen ist die geheime Wahl eine so große Errungenschaft.

Damit das auch bei der Briefwahl so bleibt, muss nun ein Wahlzeuge per Unterschrift bestätigen, dass die Wahl auch geheim stattgefunden hat. Tja. Das scheint mehr eine Alibimaßnahme zu sein, denn so eine Unterschrift ist billig zu haben.

Politische Entscheidungen sind oft Güterabwägungen. In diesem konkreten Fall scheint mir persönlich die Ausweitung des Wahlrechts für sehr viele den Nachteil der teilweisen Einschränkung des Wahlgeheimnisses zu überwiegen. Klar abzulehnen ist es jedoch, als Maßnahme gegen sinkende Wahlbeteiligungen auf „e-voting“, das Wählen via Internet umzusteigen. Damit wäre die geheime Wahl endgültig beseitigt.

In anderen Bereichen könnte ganz leicht ein Mehr an Demokratie umgesetzt werden. Haben Sie schon einmal einen Flächenwidmungsplan gelesen? Ihn auch verstanden? Mit diesem Instrument wird penibel geregelt, wo wie dicht, wie hoch und was gebaut werden darf. Meist sind diese Pläne selbst für Experten extrem schwer zu entziffern. Man hat geradezu das Gefühl, sie seien derart von „Herrschaftssprache“ durchsetzt, damit sie gar nicht verstanden werden.

Mehr Demokratie? Ja sicher! Aber ohne Ausschaltung der geheimen Wahl.


chorherr.twoday.net("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2007)

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