Roh & gekocht: Von Bienen und Menschen

Auf 40 Prozent reduzierte Bestände – Krise oder alarmierendes Zeit-Symptom?

Die Bienen seien bedroht, liest man: Bis auf 40 Prozent seien die Bestände zuletzt gesunken. Die Ursachen dafür scheinen noch offen und umstritten.

Honig von Wildbienen haben die Menschen bereits gezielt erbeutet, lange bevor sie sesshaft wurden. Danach wurden Bienenzucht und Imkerei zu den ältesten und wichtigsten Aktivitäten der Menschheit. Für das alte Mesopotamien und im alten Ägypten sind sie nachgewiesen in Inschriften und bildlichen Darstellungen. Honig wurde damals nicht nur als Süßstoff, sondern auch als Heilmittel bereits geschätzt: gegen Verkühlungen und Bronchialerkrankungen, bei Frauenbeschwerden und als Teil von Wundverbänden.

So wurden Bienenzucht und Imkerei zum Symbol von Fürsorge, Wohlstand und göttlichem Segen. Die Bibel spricht in diesem Sinn vom Land, in dem „Milch und Honig fließt“, und hellenistische Mediziner wie Galen sprachen Honig eine zentrale Rolle in ihren humoralen Theorien und Heilsystemen zu. Auch im Koran zählt die Biene zu den hochgelobten und geschätzten Tieren. Vom Propheten Muhammad wird berichtet, er habe Kranken stets die Einnahme von Honig empfohlen.

In den gebirgigen bäuerlichen Kulturen des Kaukasus und des Hijaz erreichte die Imkerei schon im frühen Mittelalter höchste Ausformungen; man nutzte dabei die unterschiedlichen Bestände von Nektarblüten auf engstem Raum entlang der Höhenlinien. Arabische Geografen berichten etwa, dass im elften Jahrhundert die Imker des Jemen ihre Bienenstöcke meterhoch stapelten und ihre Honigerzeugnisse auf den örtlichen Märkten wie im Fernhandel astronomische Preise erzielten. Aus Armenien und anderen kaukasischen Gebieten wird bereits früh von kunstvoll geschnitzten und verzierten hölzernen Bienenstöcken berichtet, die Zeugnis ablegen vom Wohlstand der örtlichen Imkerei. Ähnliches ist auch aus der historischen Volkskunde Mitteleuropas und der deutschsprachigen Regionen wohl bekannt. Noch osmanische höfische Kochbücher beschreiben mit minutiöser Genauigkeit, welche Honigsorten für welche edlen Speisen zu verwenden seien. Bis in die frühe Neuzeit blieb Honig ein entscheidender, aber seltener und teurer Süßstoff.


Der Anthropologe Sidney Mintz von der Johns Hopkins University hat gezeigt, wie Honig als Süßstoff dann schrittweise vom Rohrzucker und später vom Rübenzucker verdrängt wurde, und welche Rolle die Entdeckung Amerikas und die einsetzende Etablierung von Zuckerrohrplantagen in der Neuen Welt dabei spielte.

Heute wissen wir von den gesundheitlichen Folgen, die der hypertrophe und übermäßige Massenkonsum von Zucker für die Volksgesundheit der Industrieländer gehabt hat und hat. Auch das wird wohl als ein Effekt des Verlustes an Wertschätzung für die Biene und ihren seltenen Süßstoff gedeutet werden können.

Für den Fortbestand der Vegetation bleibt die Biene so oder so entscheidend. Daher sagen auch heute manche Fachleute, dass die Biene eines der wichtigsten Tiere für den Menschen bleibt.

Andre Gingrich ist Anthropologe an der Uni Wien und Direktor der Forschungsstelle für Sozialanthropologie an der Akademie der Wissenschaften.


kultur@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2007)

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