Mit Federn, Haut und Haar: Der freie Wille der Fliege

Da Gebrabbel um den freien Willen ist wieder ein Grund, vor uns Forschern zu warnen.

Selbst internationale Spitzenwissenschaftler sind nicht davor gefeit, Schmarren und Schmonzes zu produzieren, auch, wenn ihr scheinbar sensationeller Erguss im renommierten „PLoS ONE“ veröffentlicht wurde. Björn Brembs und George Sugihara boten Fruchtfliegen einen Flugraum, frei von allen richtungsgebenden Reizen, die als Anhaltspunkte für Orientierungsreaktionen dienen hätten können. Und dennoch waren die Richtungsänderungen der Tiere im Flug nicht zufällig. Selbst Fliegenhirne können daher keine reinen „Input-output-Maschinen“ sein, schlossen Brembs & Co. haarscharf.

Großartig! Abgesehen davon, dass solche Experimente technisch sauberer bereits vor etwa 30 Jahren in Tübingen durchgeführt wurde, darf ich daran erinnern, dass die Sicht von Individuen als reine Input-output-Maschinen schon seit den 1930er Jahren pass© ist. Damals belegten der Ethologe Konrad Lorenz und der Neurobiologe Erich von Holst, dass Individuen auch „spontan“ aktiv werden können, wie sie es ausdrückten. Für ihre ethologische Theorie zur Erklärung tierischen (einschließlich menschlichen) Verhaltens bekamen Lorenz und Tinbergen 1973 den Medizinnobelpreis. Wenn dies unseren Studenten nicht mehr präsent sein sollte, dann halte ich das für eine zu behebende Wissenslücke. Wenn dagegen eminenten Neurobiologen, Gutachtern, Herausgebern und offenbar auch den medialen Vermittlern entgeht, dass wir nicht mehr in der psychobiologischen Steinzeit leben, dann ist das schon erstaunlich.

Kein Gehirn kommt als „Tabula rasa“ zur Welt. Von Fliege bis Mensch lenkt die evolutionäre Geschichte über die Individualentwicklung, wie wir auf unsere Umwelt reagieren, was wir lernen können. Solches im Gehirn einer Fliege (indirekt) nachzuweisen, ist keineswegs jene Sensation, als die sie uns verkauft wird. Alter Wein in neuen Schläuchen, ein hervorragendes Beispiel für g'schaftige Wissenschaft, die bestehendes Wissen negiert und vorwiegend dem Selbstmarketing der Proponenten dient. Heute ein Experiment zu feiern, welches letztlich die schon seit über 70 Jahre tote Pawlowsche Reflexkettentheorie widerlegt (!), entlarvt diesen Wissenschaftszirkus als substanzarmes Infotainment.


Es kommt noch dicker: Die Spontaneität des fliegenden Insekts wird von den Autoren als „biologische Basis des freien Willens“ interpretiert. Dieser besteht bekanntlich darin, rationale Entscheidungen zu treffen, die oft damit einhergehen, momentanen Impulsen, Wünschen oder Interessen nicht nachzugeben. Genau das Gegenteil davon aber zeigten die Fruchtfliegen. Zudem sollten Brembs und Sugihara wissen, dass selbst den „freien Willensentscheidungen“ des Menschen Anbahnungsprozesse im Unbewussten vorangehen, dass das „Es“, also unser Gehirn, in erheblichem Ausmaß für uns denkt und dennoch das bewusste „Ich“ der Illusion anhängt, „freie Entscheidungen“ zu treffen. Das Gebrabbel um den freien Willen, gerade von Seiten dieser Neurobiologen mag naiv oder unverschämt sein, jedenfalls ist es unerträglich wichtigtuerisch. Wieder mal ein Grund, vor uns Wissenschaftlern eindringlich zu warnen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.


kultur@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2007)

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