Roh & gekocht: Beim Sport bin ich immer national!

Ein Seufzer der Erleichterung durchweht die Öffentlichkeit. Gottlob gibt es die angedrohte Olympia-Sperre nun doch nicht gegen das OÖC. „Nur“ eine Strafe von einer Million Dollar sei zu begleichen wegen der Verfehlungen im Bereich des ÖSV bei der Turiner Olympiade.

Eine Peinlichkeit, die nun etwas weniger peinlich ist? Wir atmen auf? – Merkwürdig still blieb es in der sportbegeisterten Öffentlichkeit, nachdem das EADS-Sponsoring für Rapid Wien bekannt wurde: Nichts als ein normaler Förder-Vertrag wie andere auch, hieß es. Aber, ist dort nicht einer tätig, der letzter Finanzminister jener Partei war, die jetzt...? – Ehemalige Helden der Landstraße legen im deutschen Fernsehen Beichten ab. Doping sei im Profi-Radfahren seit Jahrzehnten gang und gäbe gewesen. Erschütterung macht sich breit.

Für sportinteressierte Menschen hat diese Häufung von unbequemen Entwicklungen innerhalb weniger Wochen etwas Desillusionierendes an sich. Dass der sogenannte Spitzensport eingebunden ist in ein Geflecht von Geschäft und Show, wusste man seit längerem: Damit lässt sich im Prinzip auch leben. Aber die Grau- und Schattenzonen werden anscheinend breiter. Dass es im europäischen Fußball tiefgreifende Korruption gibt, war über die italienischen und deutschen Ligen in den letzten Jahren bekannt geworden. Fälle von unlauterem, gesundheitsschädigendem oder gar kriminellem Doping gab es schon länger. Die jetzige Kulmination zeigt allerdings deutlich: Diese Entwicklungen haben Österreich längst erreicht.

Die Grau- und Schattenzonen sind also unter uns. Mir stellen sich dazu als Wissenschafter zweierlei Arten von Fragen: Erstens, ist hier nicht verbesserte Selbstkontrolle angebracht, lange bevor andere zu kontrollieren beginnen? Und können, ja sollen Praktikerinnen und Praktiker aus den Natur- und Sozialwissenschaften nicht zu einem effizienten Teil dieser Selbstkontrolle werden? Unabhängige Sportmediziner und -soziologinnen, Sportökonomen und -anthropologinnen, Sportethiker und -historikerinnen, die nicht von den Vereinen, sondern von den Verbänden finanziert und die primär objektivierbaren Kriterien und ihrer eigenen wissenschaftlichen Urteilskraft verpflichtet wären: Sie könnten sicher einiges beitragen, um die Übergangszonen zwischen „Tragbarem“ und „Unerträglichem“ drastischer zu markieren. Das Geld wäre zweifellos besser ausgegeben für wissenschaftliche Selbstkontrolle, als für dubiose Praktiken im Dunkelgrau-Bereich.

Zweitens, vielleicht zeigt die Häufung von teils fragwürdigen, teils halblegalen, teils kriminellen Praktiken in den nationalen Sportverbänden Europas aber auch Dekadenz und Zerfall an. Möglicherweise geht jene Zeit zu Ende, in der Qualtinger höhnisch singen konnte „Jaja beim Sport bin ich immer national!“, weil es genau so war. Auch ich war selig über das 3:2 von Cordoba, damals. Kann es sein, dass es heute aber um anderes geht? Etwa auch darum, ein nicht-nationales Europa der übernationalen Sportarten zu errichten, in dem nationale Verbände und Nationalteams nicht so wichtig bleiben wie heute?

Andre Gingrich ist Anthropologe an der Uni Wien und Direktor der Forschungsstelle für Sozialanthropologie an der Akademie der Wissenschaften.


kultur@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2007)

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