Osteuropa: Der lange Weg zum Vertrauen

Unternehmen haben mehr Vertrauen in ihr Geschäftsumfeld, wenn sie in soziale Netzwerke eingebunden sind. Staatliche Agenturen wirken sich hingegen katastrophal aus.

Die mittel- und osteuropäischen Länder legten in den vergangenen Jahren eine imposante Aufholjagd hin: Praktisch alle wirtschaftlichen Kennzahlen verbesserten sich, meist stärker und schneller als in den Staaten der EU. Die makroökonomische Entwicklung ist aber nur eine Seite der Medaille. Für die meisten Menschen viel wichtiger ist die Entwicklung einzelner Unternehmen. Und gerade in diesem Bereich gibt es noch viele Defizite, die die künftige Entwicklung bestimmen. Einer der wichtigsten Aspekte ist sicher das Vertrauen der handelnden Personen in die Stabilität der Rahmenbedingungen, in die Ehrlichkeit der Geschäftspartner oder in die Fairness des Justizsystems.

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat sich diesen Punkt in einer großen Umfrage unter 6100 Firmen aus 26 Transformationsstaaten genauer angesehen und ist zu teils verblüffenden Ergebnissen gekommen. Als Maßzahl für das Vertrauen der Unternehmen in ihre geschäftliche Umwelt ziehen die EBRD-Ökonomen den Prozentsatz der Geschäftsabschlüsse heran, die gegen Vorauszahlung gemacht werden.

Der Anteil der Geschäfte mit Vorauskassa ist dort höher, wo das Vertrauen der Unternehmen niedriger ist. Die Werte differieren zwischen den verschiedenen Ländern stark: In Weißrussland oder der Ukraine werden 45 Prozent der Geschäfte nur gegen Vorauszahlungen getätigt, in Litauen liegt der Wert bei 22 Prozent, in Kroatien bei acht Prozent und in Tschechien oder Estland bei fünf Prozent.

Bisher wurden derartige Studien mit einer anderen Maßzahl für das Vertrauen in die Geschäftspartner gemacht: nämlich mit dem Anteil der Abschlüsse, die gegen Kredit getätigt werden. Die EBRD meint aber, dass dieser Parameter einige Probleme hat - vor allem, dass es eine Art unfreiwilligen Kredit geben kann, etwa wenn der Geschäftspartner in Zahlungsschwierigkeiten oder gar pleite ist. Die jeweiligen Daten sind in manchen Ländern auch sehr unterschiedlich: Lettland etwa würde bei einer Reihung nach Handelskrediten unter den besten Staaten liegen, bei der Vorauszahlungsquote ergibt sich hingegen die - viel realistischere - Platzierung im Mittelfeld.

Zu allgemeinen makroökonomischen Größen gibt es einen klaren und intuitiv verständlichen Zusammenhang: Das Vertrauen ist größer in Ländern mit größerem Pro-Kopf-Einkommen, mit höherem Reform-Fortschritt - dafür gibt es weithin akzeptierte Parameter, die sich aus zig Einzelgrößen zusammensetzen - und einer besser entwickelten Verwaltung.

Weniger selbstverständlich, ja teilweise paradox, werden die Schlüsse, wenn man in die Tiefe geht. Zum Beispiel beim Justizsystem: Dass allgemein als "fair" angesehene Gerichtshöfe das Vertrauen der Firmen steigern, überrascht nicht.

Dass das Vertrauen aber in jenen osteuropäischen Staaten, wo die Gerichte schnell entscheiden, geringer ist, dürfte doch überraschen. Die Studienautoren bieten dafür eine mögliche Erklärung an: Zu rasche Urteilssprüche werden von den Unternehmen mit Korrumpierbarkeit der Richter assoziiert. Den Daten zufolge ist die Korruption bei Gericht jedenfalls das größte Hindernis beim Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Unternehmen.

Sehr zwiespältig ist der Einfluss von Netzwerken auf das Vertrauen. Das Eingebettet-Sein in soziale und familiäre Netzwerke hat eine sehr starke vertrauensbildende Wirkung. Mehr Vertrauen haben die Firmen auch in jenen Ländern, in denen es gut etablierte Unternehmensverbände und Standesvertretungen gibt. Dieser Zusammenhang ist aber deutlich schwächer ausgeprägt. Vertrauens-vermindernd wirken hingegen "Insider-Netzwerke", etwa Beziehungen zwischen früheren Angestellten zum Ex-Chef. Und katastrophale Folgen auf das Vertrauen haben starke staatliche Agenturen.

Die große Bedeutung, die Familien- und Freundschaftsnetzwerke offenbar in den Transformationsstaaten haben, ist aber ein zweischneidiges Schwert. Denn stärkere soziale Beziehungen haben die unangenehme Begleiterscheinung, dass die Transparenz im Geschäftsleben deutlich geringer ist und damit einer klassischen "Freunderlwirtschaft" Tür und Tor geöffnet ist.

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