Neuer Schädling bedroht Wein

Landwirtschaft. Mit Klimaerwärmung kommen Insekten nach Österreich, die gefährliche Pflanzenkrankheiten übertragen.

Was die Pflanzenschutz-Experten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) 2004 in den Weinbergen rund um Klöch und Bad Radkersburg entdeckten, treibt heute den Weinbauern in ganz Österreich den Angstschweiß auf die Stirn. Der Alptraum der Winzer hört auf den wissenschaftlichen Namen Scaphoideus titanus (amerikanische Rebzikade) und stellt derzeit die größte Bedrohung für den Weinbau seit dem Wüten der Reblaus (Ende des 19. und Beginn des 20.Jahrhunderts) dar. Wie die „Presse“ erfährt, werden bei der Ages bereits Notfallpläne ausgearbeitet.

Genau genommen tut man den Rebzikaden (siehe Kasten) jedoch Unrecht, wenn man sie allein für das Absterben ganzer Weinberge verantwortlich macht. Tatsächlich sind sie nämlich nur Überträger einer gefährlichen Rebkrankheit, dem Blonden Gold – oder auch Flavescence dorée genannt.

Tod durch Blattvergilbung

Ausgelöst wird die Erkrankung durch sogenannte Phytoplasmen. Das sind Bakterien, die durch das Festsaugen der Rebzikaden am Weinstock in die Pflanzen übertragen werden. Dort angelangt, verursachen sie mittelfristig ein totales Absterben des Rebstockes.

Wie das funktioniert, weiß Norbert Zeisner von der Ages, der die amerikanische Rebzikade als Erster in Österreich entdeckte. „Vereinfacht formuliert verstopfen die Bakterien jene Zellen der Rebe, die den Pflanzensaft von den Wurzeln in die Blätter transportieren.“ Die Folgen sind – ähnlich wie bei einer Thrombose – fatal. Die Blätter vergilben rasch und fallen schließlich ab (daher wird die Rebkrankheit auch Blattvergilbung genannt). Letztendlich verdorrt der Weinstock von innen und stirbt.

Derzeit ist Panik noch unangebracht. Jene in Österreich gefundenen Rebzikaden, die von der Ages im Labor untersucht wurden, trugen keine Phytoplasmen in sich. Dennoch sind die Wissenschaftler auf der Hut. Grund: Die Krankheit steht nämlich unmittelbar vor der Einschleppung nach Österreich. In Slowenien hat das Blonde Gold bereits erste Rebbestände vernichtet. Weil die Rebzikaden in den späten Sommermonaten weite Wanderungen unternehmen, ist hierzulande bereits im Herbst mit den ersten infizierten Insekten zu rechnen.

Was passiert, wenn die Blattvergilbung erst einmal ausgebrochen ist, erleben derzeit Weinbau-Regionen in Frankreich, Nordspanien, Italien und Serbien, wo ihr ganze Weinberge zum Opfer fielen. Weil sich nicht infizierte Rebzikaden über den Pflanzensaft selbst anstecken können, kann sich das Blonde Gold rasend schnell ausbreiten. Die Pflanzenkrankheit ist meldepflichtig. Bei einem Befall ab 30Prozent muss ein Weingarten auf Anordnung der Behörde präventiv gerodet werden.

Pflanzenschutzmittel fehlen

Warum die seit Jahrzehnten bekannten Bakterien und Erreger nun plötzlich Österreichs Weinwirtschaft bedrohen, ist noch nicht gänzlich geklärt. Botaniker, Zoologen und Meteorologen gehen jedoch davon aus, dass sich mit der fortschreitenden Klimaerwärmung auch der Lebensraum der amerikanischen Rebzikade vergrößert, die als einzige Zikadenart auch Phytoplasmen übertragen kann.

Zusätzlich zur Nervosität unter den Bauern kommt, dass sich die Experten noch nicht darüber einig sind, wie weit die Krankheitsüberträger bereits in Österreich verbreitet sind. Laut Ages seien sie bisher nur in der südlichen Steiermark gesichtet worden. Helmut Redl, Leiter des Studiengangs Önologie an der Wiener Universität für Bodenkultur, hingegen will sie bereits in allen anderen Weinbauregionen gesichtet haben. „Die Bauern sind schon dementsprechend nervös“, berichtet er.

Erschwerend komme hinzu, dass es nur sehr wenige Pflanzenschutzmittel gebe, die gegen die Zikaden eingesetzt werden dürfen. Er empfiehlt Weinbauern daher, in unmittelbarer Nähe zu den Rebstöcken auf Bodenbegrünung zu verzichten oder brachliegende Flächen nicht zu sehr verwildern zu lassen. „Denn genau dort vermehren sich die Insekten nämlich besonders schnell.“

Inline Flex[Faktbox] DER SCHÄDLING("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2007)

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