Pfusch-Bescheid stoppt Lainzer-Tunnel

Weil die Beamten des Verkehrs-Ministeriums nachlässig arbeiteten, verhängte der Verwaltungs-Gerichtshof einen vorläufigen Baustopp.

Wien. Seit 1999 wird in Wien am Eisenbahn-Großprojekt „Lainzer Tunnel“ gearbeitet. Erst im Vorjahr wurde mit Pomp und Trara ein weiterer Tunnelanschlag – es wird an mehreren Stellen gleichzeitig gebaut – vorgenommen. Donnerstag kam die Ernüchterung: Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hob die seinerzeit vom Verkehrsministerium ausgestellte Baugenehmigung wegen mehrerer Mängel auf. Die Arbeiten an einem der größten Infrastrukturprojekte des Landes müssen (zumindest vorläufig) eingestellt werden. „Die Presse“ analysiert, wie es dazu kommen konnte und wie es nun weiter geht.

1Was bedeutet der Baustopp für die Fertigstellung des Tunnels? Ist das Gesamtprojekt in Gefahr?Ursprünglich hätte der Tunnel 2013 in Betrieb gehen sollen. Zwar hält der Bauträger, die Infrastruktur Bau-AG der ÖBB, noch an diesem Zeitpunkt fest, allerdings werden die vom VwGH geforderten Nachbesserungen auch ihre Zeit dauern. Im Büro von Minister Werner Faymann (SP) will man sich – auch um eine weitere Blamage zu vermeiden – noch nicht auf einen neuen Zeitrahmen festnageln lassen. „Wenn wir das VwGH-Erkenntnis genau analysiert haben, werden wir die Bau-AG der Bahn auffordern, den ordnungsgemäßen, rechtlichen Zustand herzustellen“, so eine Sprecherin des Ministers. Dass der fehlerhafte Baubescheid Sache des Ministeriums ist, ist dort vorerst kein Thema. Insider glauben, dass frühestens Anfang 2008 mit einem neuen Bescheid zu rechnen ist. Dass durch den vorläufigen Baustopp das Gesamtprojekt in Gefahr ist, ist unrealistisch. Die Behörde werde alles daran setzen, die aufgezeigten Mängel zu beheben, heißt es dort. Grund: Bis heute wurde knapp die Hälfte der Gesamtinvestitionen von 1,27 Milliarden Euro im Wiener Untergrund vergraben.

2Welche Mängel hat der VwGH im Verfahren festgestellt?Der VwGH wurde aktiv, weil sich Anrainer beschwerten. Während deren Einsprüche in drei anderen Fällen nicht durchgingen, wurde der Bescheid für den Hauptabschnitt nach 2001 bereits zum zweiten Mal aufhoben. Während damals die vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung beanstandet wurde, geht es dieses Mal um Sicherheitsmängel. Zum einen wiesen Gutachter nach, dass das Gestein in Teilen des Untergrunds weniger tragfähig ist, als im Baubescheid behauptet. Zum anderen hat das Ministerium die Konsequenzen von Schäden an der Tunnelkonstruktion (z. B. durch Unfälle) auf die Tragfähigkeit der darüber liegenden Gesteinsschicht „nicht ausreichend geprüft“, heißt es im VwGH-Erkenntnis.

3Warum basiert ein Megaprojekt auf mangelhaften Bescheiden?Während des Verfahrens zur Erstellung des Baubescheids soll das Verkehrsministerium beteiligte Ziviltechniker geradezu bedrängt haben, möglichst schnell zu einem Ergebnis zu kommen. So besteht die Betonschalung des Einreich-Projekts einem Feuer nur 90 Minuten: Standard sind jedoch 180 Minuten. Dass schlampig ausgearbeitete Bescheide vor Gericht leicht zu beanstanden sind, zeigt das aktuelle Erkenntnis. Anrainer-Anwalt Andreas Manak: „Das ist eine Blamage für das Ministerium und die beteiligten Beamten.“

4Was sind die weiteren Bedenken der prozessierenden Anrainer?Neben der befürchteten Lärmbelästigung durch Vibrationen fürchten die Anrainer vor allem massive Wertminderung ihrer Grundstücke. Vor Baubeginn bezifferte die ÖBB diese auf höchstens fünf Prozent. Betroffene hingegen berichten von 30 Prozent und mehr.

5Warum wird der Lainzer Tunnel überhaupt gebaut?Der Lainzer Tunnel macht den Wiener Zentralbahnhof überhaupt erst lebensfähig. Er verbindet West- mit Süd- und Ostbahn. „Aus Sicht der Verkehrsplaner ist das Projekt absolut sinnvoll“, so Gerd Sammer, Leiter des Wiener Instituts für Verkehrswesen. Allerdings: „Die Trassenführung ist hinterfragbar.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.