Cannabis-Konsum: Unterschätzte Gefahr

APA
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Während Zahl der Ersttäter seit 2000 um 42 Prozent stieg, nahm auch Anteil der Viel-Raucher in den vergangenen Jahren drastisch zu. Experten warnen vor psychischen Schäden und kritisieren fehlende Betreuung.

Wien. Statistisch gesehen macht jeder fünfte Mitteleuropäer zumindest einmal in seinem Leben Erfahrungen mit Cannabis Produkten. Und es werden immer mehr. Wurden im Jahr 2000 von der Polizei in ganz Österreich noch 7727 sogenannte Ersttäter wegen Cannabis-Missbrauchs angezeigt, waren es 2006 bereits 11.152. Das entspricht einer Steigerung von 44,3 Prozent. Für 2007 liegen noch keine Zahlen vor.

Während es viele bei einem einmaligen Konsum belassen, ist die Zahl der echten „Kiffer“, also jener Cannabis-Konsumenten, die ein massives Problem mit der Substanz hat, im selben Zeitraum stark gestiegen. Gleichzeitig kritisieren Experten, dass es für genau diese Gruppe heute noch zu wenig adäquate Betreuungseinrichtungen gibt. Cannabis, das unterschätzte Problem?

Ein der „Presse“ bekannter Sozialarbeiter, der in einer von Wien finanzierten Drogen-Hilfseinrichtung beschäftigt ist und daher ungenannt bleiben möchte, ist der Meinung, „dass die Stadt das Problem bewusst schön redet und versucht, das noch mit Umfragen zu untermauern“.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die aktuellste Wiener Suchtmittelstudie in der Gruppe der 15 bis 29-Jährigen lediglich acht Prozent Cannabis-Konsumenten ausweist. Die Zahlen des Grazer Drogenmonitors sprechen eine deutlichere Sprache. Demnach konsumieren 37Prozent der 12- bis 25-Jährigen wenigstens gelegentlich Cannabis-Produkte. Auch bei der sogenannten Lebenszeitprävalenz (das bedeutet, dass der oder die Befragte wenigstens einmal in seinem Leben Cannabis probiert hat; Anm.) sind die Grazer Zahlen (59 Prozent) deutlich höher als die Wiener (34 Prozent).

„Beträchtliche Schäden“

Eine mindestens genauso alarmierende Entdeckung hat Sophie Lachout von der Wiener Drogenberatungsstelle „CheckiT!“ gemacht. Während der Anteil der Gelegenheitsraucher unter den Cannabis-Konsumenten relativ stabil ist, hat die Zahl der Hardcore-Kiffer in den vergangen Jahren stark zugenommen. Seit 1998 stieg der Prozentsatz jener, die an 20 bis 30 Tagen des Monats Hanfprodukte konsumieren von 25 auf knapp über 45 Prozent.

Eine gefährliche Entwicklung, die der Vorarlberger Drogenexperte und Gerichtspsychiater Reinhard Haller in seinem kürzlich erschienen Buch „(Un)Glück der Sucht“ so erklärt: „Tatsache ist, dass Cannabis in vielen Bereichen weniger Gefahren in sich birgt als andere Drogen. Bedenklich ist vielmehr die Einnahme größerer Mengen, die beträchtliche psychische Schäden hervorrufen kann.“ Dies alles ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen.

Das Problem der Warner und Mahner ist, dass eine sachliche Diskussion über Cannabis-Produkte kaum möglich ist. Für Linke ist die Droge der selig machende Widerpart zur Bürger-Droge Alkohol. Rechte sehen in dem Kraut mit seinem halluzinogenen Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) dasTeufelskraut schlechthin.

„Tatsache ist, dass sich in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen bei uns melden, die sich durch ihren langjährigen Konsum buchstäblich ,weich‘ geraucht haben“, erzählt „CheckiT!“-Leiterin Lachout. Ihrer Einschätzung nach hat knapp jeder fünfte Cannabis-Konsument ein echtes Sucht-Problem mit der Substanz. Der typische Kiffer ist demnach durchschnittlich 18 Jahre alt, zu 70Prozent männlich und wurde in der Vergangenheit von der Familie vernachlässigt. Die Folgen der Sucht sind in der Regel Antriebslosigkeit, Wahnvorstellungen und kognitive Defizite.

Weil Cannabis-Abhängige in aller Regel nicht so verwahrlosen wie Heroin- oder Kokain-Süchtige, wollen sie mit diesen bei der Betreuung und Beratung nichts zu tun haben. Ein nicht zu unterschätzendes Problem, wie Sabine Haas vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (Öbig) meint. „Prinzipiell stehen Drogenhilfe-Einrichtungen in Österreich allen Süchtigen offen. Weil Cannabis-Konsumenten mit den deutlich härteren Schicksalen von Heroin-Junkies jedoch nichts zu tun haben wollen, diese aber die Mehrzahl der Plätze in den zuständigen Einrichtungen belegen, kommen nur sehr wenige von ihnen tatsächlich in Betreuung.“ Die österreichische Drogenhilfe komme folglich nur schwer an die Kiffer heran. Haas fordert deshalb ein differenziertes Betreuungsangebot, das im Einzelfall ganz speziell auf die Bedürfnisse der Cannabis-Konsumenten eingeht. „Deutschland und Frankreich haben bereits solche Systeme.“

Polizei schaut eher weg

Innerhalb der Exekutive nimmt man das Cannabis-Problem anders wahr. Solange man „echte Probleme“ mit Substanzen wie Heroin oder Kokain habe, könne man sich einfach nicht offensiv auf die Verfolgung der Cannabis-Szene konzentrieren, erklärt ein Suchtgift-Fahnder der „Presse“.

Auch das durch Cannabis verursachte Elend stünde in keinem Verhältnis mit jenem der „harten“ Konkurrenz. „Während wir es im Umfeld der Beschaffungskriminialität unter Heroin- und Kokain-Süchtigen mit Raub und Mord zu tun haben, kann man sich Cannabis-Konsum quasi mit dem Taschengeld finanzieren“, so der Beamte.

LEXIKON

Cannabis ist der Überbegriff für die Hanfprodukte Marihuana und Haschisch.

Unter Haschisch (auch Dope und Shit genannt) versteht man das konzentrierte Harz der weiblichen Hanf-Blüten.

Marihuana (oder Gras) hingegen ist ein Gemisch aus zerriebenen Blättern, Blüten und Stengelstücken der Hanfpflanze.

Der halluzinogene Wirkstoff ist Tetrahydrocannabinol (THC). Gewöhnliche Hanf-Pflanzen haben eine THC-Konzentration von ein bis vier Prozent. Neue, genmanipulierte Züchtungen bringen es jedoch auf bis zu 20Prozent. Ärzte sehen darin eine erhöhte Psychosen-Gefahr bei Konsumenten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2007)

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