Die „gesamte Apotheke“ im Wasser

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Grundwasser. Nicht alle Abwässer sind so rein, wie man sich das wünschen würde.

WIEN. Der schlimmste Verschmutzer des Grundwassers ist der Mensch. In Österreich wird zwar ein höherer Anteil des Abwassers als anderswo in Kläranlagen gereinigt, doch das allein reicht nicht. Ein Teil der Schmutzfracht landet trotzdem im Wasser: Denn manche Abwässer gehen ungeklärt in den Boden – etwa aus der Landwirtschaft (Dünger und Tier-Exkremente) oder deswegen, weil Abwasser-Kanäle in die Jahre kommen und undicht werden (siehe unten stehenden Artikel).

Manche Stoffe wiederum widersetzen sich hartnäckig der Entfernung in Kläranlagen. Das gilt etwa für Medikamente. „Offensichtlich können nicht alle Arzneimittel durch Wasseraufbereitung vollständig eliminiert werden“, sagte der Wiener Mediziner Wilfried Bursch beim Symposium Wasserversorgung 2007.

In Untersuchungen wurden alle möglichen Arzneien im Wasser gefunden. Die höchste Konzentration weisen Röntgenkontrastmittel auf – diese werden vom Körper fast vollständig ausgeschieden. Nummer zwei ist das Schmerzmittel Diclofenac. In kleineren Mengen werden auch Chemotherapeutika, Antibiotika und Geschlechtshormone – aus der „Pille“ – nachgewiesen. Im Abwasser finde man „die gesamte Apotheke“, sagte der deutsche Umweltexperte Thomas Ternes kürzlich. Er bestätigte auch die Einschätzung von Bursch: „Die Kläranlagen können den Großteil der Stoffe nicht entfernen.“ Nachsatz: „Dafür wurden sie nicht konzipiert.“

Vier Kilo künstliche Hormone

Es gibt zwar Methoden, auch biologisch resistentere Stoffe aus dem Wasser zu entfernen, – etwa die Nanofiltration –, doch diese sind für den Routineeinsatz zu teuer. Oder sie bringen – wie die etwa Aktivkohle-Filterung oder die Ozonierung – andere Probleme.

Ein interessanter Fall sind die Geschlechtshormone. Denn diese zeigen schon in extrem geringen Konzentrationen von weniger als einem Milliardstel Gramm pro Liter hormonelle Wirkung: Sie stören die Fortpflanzung von Fischen und führen bei manchen Amphibien zur Zwitterbildung.

Abwasseruntersuchungen zeigen einen Tagesgang der Belastung: In der Früh – nach dem Morgenurin – werden die höchsten Konzentrationen gemessen. In der österreichischen Studie „Arcem“ wurde das Hormon 17-?-Estradiol in jeder zweiten Grundwasserprobe nachgewiesen. Problematisch ist vor allem das synthetische Hormon Ethinyl-Estradiol – und zwar deshalb, weil es im Gegensatz zu den natürlichen Hormonen nur sehr langsam biologisch abgebaut wird. Laut Umweltbundesamt werden in Österreich alljährlich vier Kilogramm Ethinyl-Estradiol eingenommen, davon landen 1,7 Kilogramm im Abwasser.

Diese neuen Erkenntnisse klingen sehr bedrohlich – und Experten machen zudem darauf aufmerksam, dass die Langzeitwirkungen von Arzneimittelrückständen auf Mensch und Umwelt weitgehend unerforscht sind. Doch akut besteht kaum eine Gefahr: Laut Umweltbundesamt sei in Österreich eine Gefährdung weder durch Verzehr von Fisch noch durch den Konsum von Trinkwasser zu befürchten. Bursch rechnet vor, dass man beim Konsum von zwei Litern Wasser um das 13.000- bis 20.000-fache weniger Hormone aufnimmt als Frauen über die Anti-Baby-Pille.

AUF EINEN BLICK

Im Grundwasser werden regelmäßig auch Rückstände von Medikamenten nachgewiesen. Diese werden von Kläranlagen nicht vollständig abgebaut.

Experten betonen, dass davon keine unmittelbare Gefahr ausgeht. Allerdings weiß man nur sehr wenig über Langzeitfolgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2007)

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