Tirol: Nur knapp am Felssturz vorbei

APA
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Wintereinbruch stoppt Bergbewegung. Gefahr am Bliggferner im Frühling.

Innsbruck. Am Bliggferner im Tiroler Kaunertal befürchteten Geologen bis zuletzt einen gewaltigen Felssturz. Doch mit dem frühen Wintereinbruch hat sich der bedenklich in Bewegung geratene Permafrostboden wieder weitgehend stabilisiert. Zumindest vorläufig. Landesgeologe Gunther Heißel gibt deshalb Entwarnung. Und das obwohl sich die bewegte Zone bis zuletzt vergrößert hatte.

Rund vier Millionen Kubikmeter Gestein sind instabil geworden. Das ist zur Zeit die größte derartige Bergbewegung in den gesamten Ostalpen „Wir beobachten das Gebiet weiterhin, um schnell reagieren zu können“, sagt Heißel. Im Sommer rutschten die Gesteinsmassen am Bliggferner um bis zu 20 Zentimeter pro Tag in Richtung Tal, mittlerweile, da der Boden wieder gefriert, sind es nur mehr ein bis fünf Zentimeter täglich.

Zahl der Bergstürze steigt

Der Permafrostboden ist jener instabile Untergrund, der in den Alpen ab rund 2000 Meter Seehöhe vorkommt. Im Sommer taut der Boden nur an der Oberfläche auf, während der Untergrund weiterhin gefroren bleibt. Seit 1850 erwärmt sich dieser Permafrostboden in den Alpen immer mehr, taut also immer tiefer auf, erklärt Heißel.

Diese Entwicklung folgte auf eine „kleine Eiszeit“ und sei in der Erdgeschichte nichts Außergewöhnliches: „Den Klimawandel würde ich dafür nicht verantwortlich machen.“ Dadurch kann es, wie vor kurzem im Südtiroler Fischleintal (siehe Foto) zu gigantischen Felsstürzen kommen. Geschätzte 60.000 Kubikmeter Geröll donnerten dort vom 2698 Meter hohen Einserspitz ins Tal. Verletzt wurde dabei niemand. Doch die gigantische Staubwolke sorgte für internationale Schlagzeilen. Zum Vergleich: Im Nordtiroler Kaunertal sind vier Millionen Kubikmeter in Bewegung geraten.

Schwierige Prognosen

Landesgeologe Heißel hat nicht zum ersten Mal mit derartigen Naturgefahren zu tun. In der touristisch erschlossenen Bergwelt Tirols mitunter problematisch: Am Stubaier Gletscher kam es von 1998 bis 2002 zu Beeinträchtigungen des Skibetriebs, weil der Berg in Bewegung geraten war. Auch der Weißseespitz im Kaunertal stand von 1997 bis zum Vorjahr unter geologischer Beobachtung. An der Nordflanke waren drei Millionen Kubikmeter Gestein um 60 Meter abgesackt. Lifte mussten vorübergehend geschlossen werden. „Aber jetzt ist es dort wieder ruhig“, entwarnt der Landesgeologe.

Skigebiete werden überwacht

In Skigebieten werde der Berg ohnehin permanent überwacht und die bewohnten Täler seien nirgends direkt gefährdet. Von der Forderung, alle Permafrostareale zu kartieren, hält er im Übrigen wenig: „Das ist Humbug, denn diese Gebiete verändern sich von Jahr zu Jahr.“

Der Zustand des Permafrostbodens sei zudem nur durch Bohrungen nachweisbar. Für sinnvoll erachtet Heißel vielmehr die Prüfung im Einzelfall, wie sie derzeit passiert.

LEXIKON

Die Zahl der Felsstürze steigt.Grund dafür ist, dass die Permafrostböden in den Bergen im Sommer zusehends auftauen. Dadurch werden Gestein und Erdreich gelockert, ganze Bergteile können abbrechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2007)

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