"Vertuschen von Problemen hilft Muslimen nicht"

Die Presse (Teresa Zötl)
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Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide kritisiert konservativen Religionsunterricht – 55 Prozent melden sich ab.

Die Presse: Was läuft falsch in der Islamischen Glaubensgemeinschaft?

Mouhanad Khorchide: Man muss aufpassen, was man sagt, um Strache & Co nicht in die Hände zu spielen. Ich will, dass sich etwas ändert, aber dass niemand zu Schaden kommt.

Konkret: Seit einem Jahr wird eine neue Verfassung angekündigt. Warum ist da noch nichts passiert?

Khorchide: Es gibt eine Konkurrenz zwischen ethnischen Gruppierungen und Moscheegemeinden. Das schwächt die Glaubensgemeinschaft, denn man muss manchmal gewisse Positionen vertreten, nur um eine Balance zwischen den Gruppierungen herzustellen.

Oft grenzen Aussagen von offizieller Seite ja an Realitätsverweigerung, Beispiel Unterdrückung der Frau.

Khorchide: Selbstverständlich gibt es Unterdrückung von Frauen im Namen der Religion. Auch in Österreich. Aber Vertuschen hilft den betroffenen Frauen nicht.

Warum wird dann oft abgeblockt?

Khorchide: Leider neigen offizielle Vertreter dazu, das Bild nach außen verschönern zu wollen. Sie glauben, dass sie dem Islam damit etwas Gutes tun. Aber so lässt man Probleme größer werden. Dass die an die Oberfläche kommen, ist dann nur eine Frage der Zeit.

Ist das nicht auch eine Frage des richtigen Personals?

Khorchide: Nicht immer sitzen kompetente Menschen an den richtigen Stellen, wie etwa bei der IRPA (Religionspädagogische Akademie, Anm.). Personelle oder inhaltliche Entscheidungen sollten unabhängig von ethnischen und politischen Konstellationen getroffen werden.

Es gibt also ein Proporzdenken?

Kohorchide: Ja, leider. Es wird nicht immer nach Kompetenzen und Qualifikation entschieden.

Wie sehr sind die konservativenVertreter repräsentativ?

Kohorchide:Die Mehrheit der Muslime in Österreich gehört keiner bestimmten Moscheegemeinde an. Sie sind nicht organisiert und haben keine starke Stimme in der Glaubensgemeinschaft. Man merkt das auch an den Abmeldequoten vom Religionsunterricht – 55 Prozent.

Was ist konkret am Religionsunterricht so schlecht?

Khorchide: Islamische Theologie, wie sie über Jahrhunderte ausformuliert wurde, ist konservativ und dogmatisch. Der Mensch wird als unmündig gesehen, muss gehorchen und darf seine Vernunft kaum verwenden. Es geht vordergründig um das Praktizieren von Ritualen.

Das ist aber kein österreichischer Sonderfall.

Khorchide: Nein, das gilt für die gesamte islamische Theologie. Wenn sich jemand an die Dogmen hält, kommt er ins Paradies, egal, wie er sich ethisch verhält.


Und warum geschieht beim Religionsunterricht dann nichts?

Khorchide: Muslime sind schnell beleidigt, wenn man sagt, dass eine islamische Aufklärung nötig ist. Die ist anders als die europäische, weil wir eine andere Geschichte haben. Es ist aber falsch zu sagen, es ist alles wunderbar. Wir brauchen dringend eine Aufklärung, die von einem innerislamischen Diskurs getragen wird.

Manchmal scheitert es aber ja eher an manchen Eltern.

Khorchide: Es muss auch bei ihnen ein Bewusstsein geschaffen werden, dass Bildung wichtig ist. Oft reagieren Muslime beleidigt, wenn man ihnen diese Defizite vorwirft.


Es gibt unter einigen Muslimen auch den Hang zum Extremismus.

Khorchide: Ja, auch der politische Islam ist eine Bedrohung. Aber diese Erscheinungen fallen – zumindest in Österreich – kaum ins Gewicht.

Wenn nicht Extremismus, wo ist dann das große Problem?

Khorchide: Dass Dogmen und nicht der Mensch im Mittelpunkt der islamischen Theologie stehen ist das Hauptproblem. Dogmatische und nicht ethische Prinzipien ziehen die Trennlinie, wodurch viele, die keiner Moscheegemeinde angehören, von der Gestaltung des Religionsunterrichts ausgeschlossen sind.

Wie sollte der nächste Präsident der Glaubensgemeinschaft aussehen?

Khorchide: Ich wünsche mir, dass der kommende Präsident ein Unabhängiger mit theologischer Basis und offener Haltung ist, der den aufgeklärten und liberalen Diskurs des Islam fördert.

ZUR PERSON. Die Nachwuchshoffnung

Mouhanad Khorchide ist Assistent für Islamische Religionspädagogik am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien.

Der 36-Jährige wurde als Sohn palästinensischer Eltern im Libanon geboren und wuchs in Saudiarabien auf. Seit 1989 lebt der Islamwissenschaftler und Soziologe in Österreich. Er ist auch Imam einer kleinen Moschee in Ottakring.

Der Theologe gilt unter den liberalen Muslimen des Landes als Nachwuchshoffnung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2007)

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