Alles halb so schlimm: Halbvolle Fanzonen, übervolle U-Bahn

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Wie die Euro funktioniert: Nach den ersten Tagen der Euro zeigt sich, wer besonders profitiert – und wer nicht.

Nazi-Parolen und Raufereien gehören mittlerweile auch schon zur Geschichte der Fußball-EM. Rund 140 deutsche Hooligans sorgten in Klagenfurt für die ersten Meldungen über Gewalttätigkeit. Abgesehen davon war der bisherige Verlauf der Großveranstaltung weitgehend friedlich. Und dennoch sind manche nicht restlos glücklich. Geschäftsleute, die sich von der Sonntagsöffnung während der EM mehr erwartet haben und Gastronomen, die über das schlechte Wetter und ausbleibende Gäste klagen, sind nur einige davon. Und auch im öffentlichen Verkehr gibt es noch einen gewissen Verbesserungsbedarf. Ein Überblick über die ersten Tage und wie es im weiteren Verlauf aussehen könnte.

Fanzone: Voll, aber noch mit Reserven

Darf's etwas mehr sein? Trotz Heimspiel wurde am ersten EM-Wochenende kaum an den Kapazitätsgrenzen gekratzt: Am Ring in Wien waren sonntags insgesamt 84.000, gleichzeitig unter 50.000 Menschen (möglich: 70.000). Zwecks besserer Verteilung wurden kurzfristig die Eingänge beim Rathaus gesperrt.

Die Organisatoren rechnen künftig mit etwa 40.000 Gästen als Mittelwert. Genug für die Wirte? Die jammern über die Flaute am Vormittag und wollen erst mittags aufsperren. Nur halb voll wurde, mit 18.000 Fans insgesamt, auch der Residenzplatz in Salzburg, auffallend dabei die hohe Frauenquote: Beinahe jeder zweite Gast war weiblich. In Klagenfurt zeigte man sich erfreut über 7000 Besucher am Neuen Platz – das Areal musste für weitere Gäste gesperrt werden. Je 10.000 Fans feierten in der Zone am Messegelände und in der Fanmeile, schließlich noch 6000 im Bierzelt am Europapark – vor allem Deutsche, Polen und Kroaten. Wermutstropfen: Die Klagenfurter blieben daheim und verweigerten sich der EM.

Und die „kleinen“ Fanzonen? Nun, die Kaiserwiese im Wiener Prater verzeichnete nach mittelmäßigem Beginn am Samstag gleich zwei Mal volles Haus am Sonntag: Bei beiden Spielen waren rund 6500 Gäste im Areal – „und die Besucher haben sich komplett durchgewechselt“, sagt Sprecher Gerfried Zmölnig. Der Wiener Swiss Beach litt leicht unter dem schlechten Wetter. Etwa 1000 (2000 sind das Maximum) zählte man gleichzeitig am Donaukanal. Und die Halle im Gasometer? Hier fanden sich nur 400 Gäste ein (Fassungsvermögen 2436). Kommentar: „Der Regenguss ist für uns zu spät gekommen.“

Sicherheit: Intensiver Auftakt für die Polizei

Deutschland gegen Polen: Bei diesem Match wurden bei der Weltmeisterschaft (WM) in Deutschland 2006 exakt 429 Menschen festgenommen. In Klagenfurtklickten am Sonntag vor, während und nach dieser Begegnung für 157 Fans die Handschellen. Rund 140 von ihnen hatten Nazi-Parolen gegrölt, der Rest war in Raufereien verwickelt. Vier waren am Montag noch in Polizeigewahrsam.

Das Match war – ähnlich wie bei der WM – als Hochrisiko-Spiel eingestuft worden. Am Tag danach hieß es unter deutschen Polizisten, man habe nicht mit so vielen deutschen Hooligans auf einem Platz gerechnet. Bei den Festgenommenen handelte es sich nicht um Gewalt-Fans, die auf den ersten Blick auch als solche erkennbar gewesen wären. Allerdings schienen einige von ihnen in der deutschen Gefährder-Datei auf.

Die Polizeieinheiten aus dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen hatten mit ihren österreichischen Kollegen und szenekundigen Beamten die einzelnen Gruppierungen – die Hooligans waren zunächst nicht als Einheit aufgetreten – schon den ganzen Sonntag über im Visier. Es kam immer wieder zu einzelnen Störaktionen der Gruppen. Nachdem sich immer mehr Menschen zusammengefunden hatten und lautstark rassistische Parolen skandierten, schritt die Polizei ein. Die Beamten kreisten die Fans ein und begannen mit Identitätsfeststellungen. Danach wurden die rund 140 Personen mit Polizeibussen abtransportiert. 23 von ihnen wurden wegen Verwaltungsübertretungen angezeigt.

Weil die rassistischen Parolen „keinen konkreten Personen zugeordnet“ werden können, so die Polizei, sehe man von einer Anzeige wegen Verhetzung ab. Die Provokationen werden als Ordnungsstörung und Lärmerregung eingestuft und verwaltungsrechtlich behandelt. Allerdings setzte es vier Anzeigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, eine wegen Raufhandels, eine wegen Landfriedensbruchs. Unter den 157 in Klagenfurt Festgenommenen waren 144 Deutsche, zehn Polen, zwei Österreicher und ein Slowene.

Acht Festnahmen in Wien

Ein Augenzeuge berichtete der „Presse“, dass das gemeinsame Vorgehen der österreichischen und deutschen Sondereinheiten „sehr professionell“ gewesen sei. Man habe allerdings gemerkt, dass deutsche Polizisten im Umgang mit Krawallmachern routinierter seien, so der Augenzeuge.

Lob gab es am Montag von Innenminister Günther Platter: Das Sicherheitsteam habe „am wichtigen ersten Spieltag seine volle taktische Stärke bewiesen, rasch auf Zwischenfälle reagiert und die 3D-Philosophie (Dialog, Deeskalation, Durchsetzung, Anm.) exakt und punktgenau eingesetzt“.

In Wien hatte es die Polizei trotz eines enormen Ansturms von kroatischen Fans etwas ruhiger. Am Sonntag nahm die Exekutive insgesamt acht Personen fest. Bei zwei Raufereien gab es drei sowie vier Festnahmen. Eine achte Person wurde nach einem Diebstahl abgeführt.

Jetzt bereitet sich die Wiener Polizei auf das Match am Donnerstag vor: Österreich trifft im Happel-Stadion auf Polen. Eine seriöse Lageeinschätzung sei derzeit aber nicht möglich, noch müsse der Zustrom von polnischen Fans abgewartet werden.

In Klagenfurt trifft Deutschland auf Kroatien. Die Polizei rechnet mit zehntausenden Fans aus Kroatien, die mit Auto, Bus, Bahn anreisen werden. Je nach Lageeinschätzung könne man deutsche Sondereinheiten, die in Salzburg stationiert sind, nach Klagenfurt verlegen, erklärte am Montag Konrad Kogler vom Sicherheitsteam im Innenministerium. Die Polizei könnte am Donnerstag wieder auf die am Sonntag verhafteten Hooligans treffen: Nach ihrer Identitätsfeststellung befinden sich fast alle wieder auf freiem Fuß.

Sonntagsöffnung: Fans feierten, statt zu shoppen

Nur wenige Händler haben die Chance genutzt, während der EM auch am Sonntag aufzusperren. In Klagenfurt klagten die wenigen offenen Läden über „sehr mäßigen Geschäftsgang“. Auch in Innsbruck machte der Handel „nicht das große Geschäft. Vielleicht wird es nächste Woche besser“, hofft Alois Schellhorn von der Wirtschaftskammer (WKO) Tirol. In Salzburg reichten die Ergebnisse von „zufriedenstellend“ bis „sehr mäßig“.

In Wien waren 36 Prozent der Geschäfte offen und konnten sich laut WKO teils über großen (Fan-)Andrang freuen. Viel Geschäft haben sie aber nicht gemacht, glaubt WKO-Handels-Obmann Fritz Aichinger: „In der Innenstadt waren die Umsätze nicht so gut, die Mariahilfer Straße war sehr frequenzschwach. Nur die Lugner-City war wegen der vielen Reklame gut besucht.“ In den übrigen offenen Einkaufszentren lief es „wie an einem durchschnittlichen Tag“ (Steffl, Kärntner Str.) oder „mäßig“ (Generali Center, Mariahilfer Str.).

Gastronomie: Nicht alle Wirte profitieren

Während der EM wird mehr Bier getrunken. Abgesehen von den 32.500 Litern Carlsberg, die alleine am Sonntag in der Fanzone in Wien gezählt wurden, verzeichnet man auch in der Ottakringer Brauerei einen deutlichen Zuwachs – 30.000 Krügerl pro Tag mehr, sagt Unternehmenssprecher Thomas Sautner. Doch verteilt sich der höhere Bierkonsum nicht gleichmäßig. „Es profitieren vor allem Lokale in der Innenstadt und nahe der Fanmeile“, sagt Walter Piller, Fachgruppenobmann der Wiener Gastronomen. Auch die Lokalbetreiber auf der Ottakringer Straße, der inoffiziellen Fanmeile der Kroaten, sind zurückhaltend: „Wir hatten ein bisschen mehr Umsatz, aber die meisten Fans sind nur auf und ab spaziert“, sagt Daribor Tolo, Inhaber von zwei Cafés. Im Schweizerhaus im Prater ist man ebenfalls nicht ganz zufrieden, „weil das Wetter nicht so schön war“, meint Inhaber Karl Kolarik. Der Regen ist es auch, worüber Wirte in Klagenfurt klagen: „80 Prozent des Erfolgs hängen vom Wetter ab“, erklärt Gastronomen-Vertreter Guntram Jilka. Ansonsten gilt in der Kärntner Hauptstadt dasselbe wie in Wien: Rund um die Fanzone steigt der Umsatz, drei bis vier Straßenzüge außerhalb merken die Gastronomen nicht viel von der EM.

Verkehr: Wiedergeburt der „Öffentlichen“

Das Jammern über den dichten Verkehr ist in Wien ein fast schon tägliches Ritual. Fünf Minuten später ist der Ärger verflogen und man steigt trotzdem ins Auto, um mit unzähligen anderen gemeinsam im Stau zu stehen. Am ersten Spieltag der Euro 08 war das anders.

Die Region rund um das Ernst Happel-Stadion, die bei Großveranstaltungen in den vergangenen Jahren stets im präzise vorhersagbaren Stau-Chaos versank, verdiente sich am Sonntag beinahe das Prädikat „verkehrsberuhigte Zone“ – zumindest was den Kfz-Verkehr betraf. Gezählt wurden gerade einmal 650 Pkw und 30 Busse. Der Rest der knapp 50.000 Besucher kam zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, allen voran mit der U-Bahn-Linie U2, die nach ihrer Eröffnung im Mai erstmals ihre Leistungsfähigkeit beweisen musste.

In die eine Richtung, zum Stadion hin, funktionierte das reibungslos. Zwischen 15 und 18 Uhr gelangten auf diesem Weg 40.000 Fans (darunter auch viele, die keine Match-Karten besaßen) zur Spielstätte. In der Gegenrichtung klappte es nicht so gut. Nach Schlusspfiff drängten sich Tausende vor dem Schleusensystem, das nur so viele Fahrgäste auf die Bahnsteige lässt, wie die im Zwei-Minuten-Takt abfahrenden Züge aufnehmen können. Limitierender Faktor war nicht die Kapazität der Züge selbst – die ist mit 24.000 Fahrgästen pro Stunde doppelt so hoch wie jene der alten Straßenbahn-Lösung –, sondern die Information der Fahrgäste.

Anstatt sich auf die Vielzahl von zum Teil unbenutzten Schleusen zu verteilen, konzentrierten sich die Fans auf einige wenige Eingänge. Rasch bildeten sich Menschentrauben, es kam zu Verzögerungen.

Die Wiener Linien wollen aus dem ersten Härtetest lernen. Das Leit- und Informationssystem für die Fahrgäste sei noch nicht ideal und werde raschest möglich adaptiert – vielleicht schon bis zum nächsten Spiel am Donnerstag.

Im positiven Sinn „verwundert“ über das ausgebliebene Chaos ist auch die Wiener Verkehrspolizei. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass so viele Leute die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen“, sagt Abteilungssprecher Michael Takacs. Die kurzfristigen Sperren von Opernring, Schottenring, Getreidemarkt und Ottakringer Straße seien lediglich zur Sicherheit der zahllosen Fußgänger nötig gewesen.

Sorgen macht der Wiener Verkehrsorganisation derzeit nur die Umleitungsstrecke des gesperrten Rings. Anstatt wie vorgesehen über die Babenbergerstraße auf die Zweier-Linie auszuweichen, fahren die meisten Autofahrer bereits am Schwarzenbergplatz über die Lothringerstraße – was zu teils chaotischen Zuständen am Getreidemarkt führt. Takacs: „Dadurch erspart man sich gar nichts, weil die Grünphasen über die Babenberger-Route extra für die Umleitung verlängert wurden.“

Bewährungsprobe am Donnerstag

Ebenfalls relativ ruhig war die Verkehrssituation am Nebenspielort Klagenfurt. Die Mehrheit der Fans aus Deutschland und Polen reiste mit der Bahn an. Die übrigen Zuschauer und Fanzonen-Besucher wurden mit ihren Pkw an den Stadteinfahrten „abgefangen“ und stiegen auf Shuttlebusse um. Lediglich nach Spielende kam es zu kürzeren Staus auf den Ausfallstraßen.

Beiden Städten zugute gekommen ist, dass am Sonntag der gesamte Berufsverkehr entfiel. Bei den kommenden Spielen am Donnerstag wird das anders. Takacs: „Aus unseren Analysen wissen wir, dass der Donnerstag der verkehrsstärkste Tag im Wochen-Rhythmus ist.“

Sanitäter: Ruhe in Wien, Aufregung in Klagenfurt

Wenn es nach der Rettung in Wien geht, könnte die Euro ewig dauern. „Wir haben weniger Einsätze als an normalen Tagen“, erzählt Vize-Chefarzt Bernhard Segall der „Presse“: „Wir sind positiv überrascht.“

An normalen Tagen verzeichnet die Wiener Rettung rund 800 Einsätze. Jetzt waren es täglich unter 700 – wegen der Entlastung durch die Sanitäter in der Fanzone. Segall: „Keine Alkohol-Leichen, alles war ruhig – ich sehe keinen Anlass, sich vor den nächsten Tagen zu fürchten.“

Für Aufregung sorgte ein Vorfall in Klagenfurt. Einem Fan, der sich bei einem Sturz verletzt hatte, wurde von Rot Kreuz-Mitarbeitern die Hilfe verweigert. Georg Tazoll, Landesrettungskommandant: Das Rot Kreuz-Fahrzeug, ein Medikamententransporter, sei fälschlicherweise für ein Rettungsauto gehalten worden. Beim Versuch, darauf aufmerksam zu machen, hätten sich die Mitarbeiter „scheinbar unglücklich ausgedrückt“. Tazoll: „Es wurde zu keinem Zeitpunkt eine Hilfeleistung verweigert.“

Großteils reibungsfrei verliefen dagegen die ersten Tage in der Wiener Fanzone. „Es waren ruhige Abende. Es gab nur vereinzelt Diskussionen, die zu merkbaren Spuren geführt haben“, formuliert Andreas Zenker (Sanitätsteam für Wien) die Folgen kleinerer Meinungsverschiedenheiten zwischen Fans, die aber selten waren. Die Behandlung von Kopfschmerzen und Blasen an den Füßen sei die Hauptaufgabe der Fanzone-Sanitäter gewesen.

Mit dem einsetzenden Regen stieg aber die Zahl der Kreislaufkollaps-Opfer. Viele zogen einen der kostenlosen Plastikumhänge an, die verteilt wurden. Darunter staute sich die Hitze – Fans mit schwachem Kreislauf kollabierten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2008)

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