Übergewicht: Süßem geht's an den Kragen

Kanadas Kinder sind zu dick. Ottawa zieht die Bremse.

Ottawa. Übergewicht und Fettleibigkeit haben unter Kanadas Jugendlichen epidemische Ausmaße angenommen.

Der Gesundheitsausschuss des kanadischen Parlaments ruft zu aggressiven Maßnahmen auf, um den Trend zu stoppen und umzukehren. Politiker reagierten schockiert auf den jüngsten Bericht. Das Ziel: Bis 2010, wenn in Vancouver die Olympischen Winterspiele stattfinden, soll der Zuwachs an übergewichtigen und fettleibigen Kindern gestoppt sein, bis 2020 die Wende geschafft werden.

Erstmals seit der Erhebung entsprechender Daten „wird die heutige jüngere Generation ein kürzeres Leben haben als ihre Eltern – und dennoch erkennen Eltern das Problem nicht“, klagte der Ausschussvorsitzende Rob Merrifield. Umfragen ergaben, dass nur neun Prozent der Eltern von Kindern unter 18 Jahren ihre Sprösslinge als fettleibig oder übergewichtig bezeichneten. Und das, obwohl die tatsächliche Quote 26 Prozent ist.

Die Fettleibigkeit unter Kindern ist in Kanada zu einer Epidemie geworden, heißt es in dem Bericht. Tendenz weltweit steigend. Aber Kanada habe eine der höchsten Raten von Jugend-Fettleibigkeit und rangiere auf Platz fünf unter 34 Industriestaaten der OECD. 1978 waren zwölf Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen zwei und 17 Jahren übergewichtig und drei Prozent fettleibig. 2004 waren es 18 bzw. acht Prozent.

Indianer besonders betroffen

Besonders dramatisch ist die Lage der Ureinwohner: Etwa 55 Prozent indianischer Kinder in Reservationen und 41 Prozent der Ureinwohner-Kinder außerhalb von Reservationen bringen zu viel Gewicht auf die Waage. Indianer, die vor einigen Jahrzehnten noch vorwiegend traditionelle Nahrung aßen, die durch Jagen und Sammeln gewonnen wurde, nehmen jetzt mehr Zucker, Fett, Fertigkost und Fastfood zu sich. Und das macht sich bemerkbar.

Besorgt zeigt sich der Gesundheitsausschuss über Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen der Lebensmittelwerbung und der Fettleibigkeit erkennen lassen, vor allem bei Reklame für Produkte mit hohen Kalorien- und niedrigen Nährwerten. Als einen möglichen Schritt sieht der Ausschuss eine Einschränkung bei der Werbung für Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt, die speziell auf Kinder abzielen. Diesbezügliche Vorschriften für die Werbeindustrie, bisher nur freiwillig, sollen nun überprüft werden.

Zudem soll eine massive Aufklärungskampagne für gesunde Ernährung starten. Auch die Reduzierung von Steuern auf gesunde Nahrung bei gleichzeitiger Subventionierung wird überlegt. Wichtigster Punkt in der Gesundheitsoffensive ist die Ausweitung eines Bundesprogramms, das die Belieferung abseits gelegener Ureinwohner-Gemeinden mit frischen Lebensmitteln fördert. In diesen Gemeinden, die nur mit Flugzeugen erreicht werden können, sind Obst, Gemüse und Milchprodukte wegen der Transportkosten extrem teuer.

Wird nichts unternommen, kommt es Kanada ebenfalls teuer: Die direkten Kosten für das Gesundheitswesen werden auf jährlich eine Milliarde Euro geschätzt, die indirekten Kosten wie etwa Produktivitätsverluste oder Arbeitsunfähigkeit auf weitere 1,75 Milliarden Euro.

Inline Flex[Faktbox] KEINE WERBUNG("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2007)

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