Die Öko-Stadt im Land der Umweltsünder

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Shanghai: Der ambitionierte Traum einer nachhaltigen Reißbrett-Stadt soll ausgerechnet in China realisiert werden.

PEKING.Auf dem Grasdach des Wohnhauses zwitschern die Vögel. Durchs geöffnete Fenster streicht eine leichte Brise vom Meer. Im Kochtopf dünsten biologisch gezogene Bohnen. Nach dem Essen geht's zum Segelboot, das nur wenige Minuten entfernt im Jachthafen dümpelt. Was sich wie ein Traum vom urbanen Leben im Einklang mit der Natur anhört, soll schon bald wahr werden – in China.

In Dongtan auf der Insel Chongming nördlich von Shanghai entsteht derzeit die erste auf dem Reißbrett geplante Öko-Stadt Asiens. Sie wird, so versprechen die Behörden und das britische Stadtplanungsbüro Arup, nicht nur besonders grün, sondern auch energiesparend und abgasarm sein. Knapp eine Milliarde Euro wird die Stadt Shanghai dafür zunächst investieren, berichtet Shan Dongfang, Projektleiter bei Arup. Dafür werden nicht nur, wie in anderen ökologisch ambitionierten Orten, Windmühlen aufs Feld und Solar-Wasserwärmer aufs Dach gestellt. Stattdessen wird Dongtan von vornherein so geplant, dass die Häuser besonders gut isoliert und belüftet sind und bis zu 70 Prozent weniger Energie als üblich brauchen. Haushaltsmüll und landwirtschaftliche Abfälle aus der Umgebung sollen den Kraftwerken als Brennstoff dienen.

Benziner müssen draußen bleiben

Im Zentrum werden, so heißt es, nur Elektro- und Brennstoffzellen-Fahrzeuge zugelassen. Wer mit seinem Benziner von außerhalb kommt, muss den Wagen auf dem Parkplatz am Rand von Dongtan lassen. Schon in drei Jahren, zur Shanghaier Weltausstellung 2010, soll die erste Phase des Projekts auf einem Areal von rund zwei Quadratkilometern fertig sein, für bis zu 20.000 Menschen. Später sollen hier eine halbe Million Bewohner leben, mit eigenen Firmen, Geschäften und Schulen, von Ökobauern aus der Umgebung versorgt.

Dongtan gehört zu den Vorhaben, wie sie nur in China möglich zu sein scheinen, wo KP-Politiker kühne Experimente nicht scheuen – und zugleich die Macht haben, innerhalb kurzer Zeit zehntausende Menschen umzusiedeln, ob die es wollen oder nicht. Dongtan ist auch möglich, weil die Pekinger Führung nun das Thema Umwelt auf ihre Fahnen geschrieben hat. Die Situation ist dramatisch. Nach einem Vierteljahrhundert rasanten Wirtschaftswachstums sind in China viele Flüsse verschmutzt, Böden zerstört, die Luft verpestet und das Trinkwasser in weiten Teilen des Landes so knapp, dass es bald rationiert werden muss.

Dazu kommt, dass China den größten Urbanisierungsschub noch vor sich hat: Rund 300 Mio. Menschen werden bis Mitte des Jahrhunderts ihre Dörfer und Felder verlassen, die sie nicht mehr ernähren können, und in die Städte strömen. Die grüne Modellstadt soll beweisen, dass es eine Zukunft geben kann. Auch im Ausland horchen Politiker auf: Der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone erklärte kürzlich, er wolle an der Themse ein kleines Dongtan bauen.

„Grünes Prestige-Vorhaben“

Doch das Projekt ist umstritten. Ein Grund: Dongtan wird auf der Insel Chongming errichtet, direkt in einem wichtigen Vogelschutzgebiet. Dutzende Vogelarten machen hier bei ihren jährlichen Zügen nach Norden und Süden Station. Kritiker verdammen die neue Öko-Stadt als eines jener grünen Prestige-Vorhaben, die am Ende mehr schaden als nutzen: „Chongming ist bereits ein ökologisches Gebiet.“ Die Insel müsse nur in Ruhe gelassen werden, erklärte der Shanghaier Stadtplaner Zhao Min im Internet. Die Behörden sollten ein anderes Stück Land suchen, wenn sie etwas Gutes für die Umwelt tun wollten, erklärten Mitglieder örtlicher Vogelschutzvereine. Ihr Verdacht: Dongtan könnte ein Öko-Potemkin werden, ein Paradies der neuen Reichen, die künftig mit ihren dicken Autos die 45 Minuten von Shanghai herbeibrausen, durch den neuen Tunnel und über die neue Brücke, die bald die Insel mit dem Festland verbinden werden.

„Wer glaubt ernsthaft, dass diese Leute in Dongtan zu Fuß gehen werden?“, höhnte ein Kritiker im Internet. Andere fordern, die Regierung solle lieber dafür sorgen, dass die Apartment-Siedlungen, Fabriken und Bürotürme, die derzeit im ganzen Land entstehen, weniger verschwenderisch, dafür umweltfreundlicher gebaut werden. Doch im Alltag schert sich niemand um bestehende Bauvorschriften und Energiespar-Vorgaben.

Längerfristig droht Dongtan aber Gefahr von anderer Seite: Steigen die Meere als Folge der globalen Erwärmung so schnell wie befürchtet an, könnten die Insel Chongming und Teile Shanghais in wenigen Jahrzehnten überschwemmt sein, fürchten Experten.

NACHHALTIG: Dongtan

Die Öko-StadtDongtan bei Shanghai wird einmal einer halben Million Menschen ein ökologisch sauberes Zuhause bieten. Solarenergie, grüne Fahrzeuge, Biogemüse sollen das Alltagsleben bestimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2007)

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